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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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unterschrieben. Den anderen Umschlag hatte meine Großmutter Javier vor einer halben Stunde gegeben, damit er ihn mir aushändige. Ein Polizist hatte ihn gebracht; es war eine Vorladung auf die Polizeiwache von Miraflores. Ich sollte am nächsten Tag um 9 Uhr morgens dort erscheinen.
    »Das Schlimme ist nicht der Brief, sondern daß er, so wie ich ihn gestern gesehen habe, durchaus fähig ist, diese Drohung wahrzumachen«, tröstete mich Javier und setzte sich auf das Fensterbrett. »Was machen wir jetzt, alter Knabe?« »Zuerst einmal einen Anwalt aufsuchen«, war das einzige, was mir einfiel. »Wegen meiner Heirat und der anderen Dinge. Kennst du jemanden, der uns gratis berät oder uns Kredit gibt?« Wir gingen zu einem jungen Anwalt, einem Verwandten von ihm, mit dem wir einige Male am Strand von Miraflores Wellenreiten gegangen waren. Er war sehr freundlich, nahm meine Geschichte von Chincha mit viel Humor und machte ein paar Spaße; wie Javier kalkuliert hatte, verlangte er kein Geld von mir. Er erklärte mir, daß meine Ehe wegen der Veränderung des Datums in der Geburtsurkunde nicht nichtig, aber annullierbar sei. Das erfordere jedoch einen juristischen Akt. Wenn der nicht vorgenommen werde, sei die Ehe automatisch nach zwei Jahren »geschlossen«, und man könne sie nicht mehr annullieren. Was Tante Julia betreffe, sei es durchaus möglich, sie als »Verführerin Minder jähriger« anzuzeigen, einen Polizeibericht anferti gen und sie festnehmen zu lassen, jedenfalls vorläufig. Dann werde es einen Prozeß geben, aber er sei ganz sicher, daß es angesichts der Umstände – das heißt, da ich achtzehn und nicht zwölf Jahre alt war – unmöglich sei, daß die Anklage durchkomme: jedes Gericht würde sie freisprechen.
    »Auf jeden Fall kann dein Vater, wenn er will, Julita ein paar böse Stunden bereiten«, schloß Javier, als wir über den Jirón de la Union zum Sender zurückgingen. »Stimmt es, daß er Beziehungen zur Regierung hat?«
    Ich wußte es nicht; vielleicht war er der Freund eines Generals, Gevatter irgendeines Ministers. Auf der Stelle beschloß ich, nicht bis zum nächsten Tag zu warten, um zu erfahren, was man auf der Polizeiwache von mir wollte. Ich bat Javier, mir zu helfen, einige Hörspielserien aus dem Papiermist von Radio Central zu retten, damit ich noch heute Klarheit bekäme. Er willigte ein und bot mir sogar an, mich regelmäßig mit Zigaretten zu versorgen, falls man mich einsperren sollte. Um 6 Uhr abends überreichte ich Genaro jun. zwei mehr oder weniger vollständige Serien und versprach ihm für den nächsten Tag noch drei weitere; ich sah rasch die 6-Uhr- und die 8-Uhr-Nachrichten durch, versprach Pascual für El Panamericano zurückzusein, und eine halbe Stunde später war ich mit Javier auf der Polizeiwache am Malecôn 28 de Julio in Miraflores. Wir warteten eine gute Weile, und endlich empfingen uns der Kommissar – ein Major in Uniform – und der Chef der Geheimpolizei. Mein Vater hatte am Vormittag darum gebeten, mir eine offizielle Erklärung über das Vorgefallene abzuverlangen. Es lag ihnen eine Liste von Fragen vor, aber ein Polizist schrieb sie noch einmal mit meinen Antworten, und das nahm sehr viel Zeit in Anspruch, denn er war ein sehr schlechter Schreibmaschinenschreiber. Ich bestätigte, daß ich geheiratet hatte (unterstrich emphatisch, daß ich es »aus eigenem Wunsch und Willen« getan hätte), aber ich weigerte mich, den Ort zu nennen und vor welchem Bürgermeisteramt. Ich verriet auch nicht, wer die Trauzeugen gewesen waren. Die Fragen waren der Art, als wären sie von einem Winkeladvokaten mit sehr bösen Absichten formuliert: mein Geburtsdatum und dann (als wäre es in der vorherigen Frage nicht bereits enthalten), ob ich minderjährig sei oder nicht, wo ich lebte und mit wem, und natürlich das Alter von Tante Julia (die »Dona« Julia genannt wurde), eine Frage, die zu beantworten ich mich ebenfalls weigerte; ich sagte, es zeuge von sehr schlechtem Geschmack, das Alter einer Dame preiszugeben. Das weckte kindliche Neugier bei den beiden Polizisten, die mich, nachdem ich die Erklärung unterschrieben hatte, in väterlicher Weise, »aus reiner Neugier«, fragten, wie viele Jahre die Dame älter sei als ich. Als wir die Polizeiwache verließen, fühlte ich mich plötzlich sehr niedergeschlagen, ich hatte das unangenehme Gefühl, ein Mörder zu sein oder ein Dieb.
    Javier meinte, ich hätte einen Fehler gemacht; mich zu weigern, den Ort der

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