Tante Julia und der Kunstschreiber
Eheschließung anzugeben, sei eine Provokation, die meinen Vater noch mehr verärgern werde, und außerdem völlig unnütz, da man es in wenigen Tagen herausbekommen könne. Es fiel mir in dieser Stimmung sehr schwer, an diesem Abend noch in den Sender zu gehen, also ging ich zu Onkel Lucho. Tante Olga öffnete mir; sie empfing mich mit sehr ernstem Gesicht und einem mörderischen Blick, sagte aber kein Wort und hielt mir sogar die Wange zum Kuß hin. Sie ging mit mir in den Salon, wo Tante Julia und Onkel Lucho saßen. Es genügte, sie zu sehen und zu wissen, daß es übel aussah. Ich fragte sie, was geschehen sei.
»Die Dinge stehen sehr schlecht«, sagte Tante Julia und verschränkte ihre Finger mit meinen, und ich merkte, wie unangenehm das Tante Olga war. »Mein Schwiegervater will mich als unerwünschte Person aus dem Land weisen.« Onkel Jôrge und Onkel Juan und Onkel Pedro hatten am Nachmittag eine Unterredung mit meinem Vater gehabt und waren erschrocken über den Zustand, in dem sie ihn gesehen hatten. Kalte Wut, ein starrer Blick und eine Art zu sprechen, die eine wilde Entschlossenheit zeigte. Er war kategorisch: Tante Julia sollte Peru innerhalb achtund vierzig Stunden verlassen, oder sie würde die Konse quenzen zu spüren bekommen. Tatsächlich war er ein enger Freund – vielleicht ein Schulkamerad – des Arbeitsministers der Diktatur, eines General Villacorta, mit dem er bereits gesprochen hatte, und wenn sie nicht freiwillig ginge, würde Tante Julia von Soldaten bis ans Flugzeug gebracht werden. Und was mich angehe, würde ich es teuer bezahlen, wenn ich ihm nicht gehorchte. Und genau wie Javier hatte er meinen Onkeln den Revolver gezeigt. Ich vervollständigte das Bild und zeigte ihnen den Brief und berichtete von dem Polizeiverhör. Der Brief meines Vaters hatte den großen Vorteil, sie ganz und gar für uns einzunehmen. Onkel Lucho schenkte einen Whisky ein, und als wir tranken, begann Tante Olga plötzlich zu weinen und sagte, es sei ganz unmöglich, daß man ihre Schwester wie eine Verbrecherin behandele und ihr mit der Polizei drohe, schließlich gehöre sie zu einer der besten Familien Boliviens.
»Es hilft nichts, ich muß gehen, Varguitas«, sagte Tante Julia. Ich sah, wie sie einen Blick mit meinem Onkel und meiner Tante wechselte, und begriff, daß sie bereits darüber gesprochen hatten. »Sieh mich nicht so an, das ist keine Verschwörung, es ist ja nicht für immer. Nur bis die Wut deines Vaters verraucht ist. Damit wir einen noch größeren Skandal verhindern können.«
Zu dritt hatten sie darüber gesprochen und diskutiert und auch schon einen Plan ausgeheckt. Bolivien war verworfen worden, Tante Julia sollte besser nach Chile gehen, nach Valparaiso, wo ihre Großmutter lebte. Sie sollte nur so lange dort bleiben, wie es unbedingt nötig sei, bis die Gemüter sich beruhigt hätten. Sie würde sofort zurückkommen, wenn ich sie riefe. Ich widersetzte mich zornig und sagte, Tante Julia sei schließlich meine Frau, ich hätte sie geheiratet, damit wir zusammenblieben, auf jeden Fall würden wir dann beide gehen. Sie erinnerten mich an meine Minderjährigkeit: Ich könne keinen Paß beantragen und das Land nicht ohne elterliche Erlaubnis verlassen. Ich sagte, ich würde schwarz über die Grenze gehen. Sie fragten mich, wieviel Geld ich hätte, um im Ausland leben zu können. (Ich hatte gerade noch soviel, um für ein paar Tage Zigaretten zu kaufen. Die Heirat und die Miete für das Apartment hatten den Vorschuß von Radio Panamericana, den Erlös meiner Kleider und das Geld vom Pfandhaus völlig aufgezehrt.) »Wir sind jetzt verheiratet, und das kann uns keiner mehr nehmen«, sagte Tante Julia und wuschelte mir durch die Haare und küßte mich mit Tränen in den Augen. »Das dauert ein paar Wochen, höchstens ein paar Monate. Ich will nicht, daß man dich meinetwegen erschießt.«
Beim Essen legten Tante Olga und Onkel Lucho ihre Argumente dar, um mich zu überzeugen. Ich solle vernünftig sein, schließlich hätte ich meinen Willen durchgesetzt und geheiratet; jetzt müsse ich vorübergehend ein gewisses Entgegenkommen zeigen, um etwas, was nicht wieder gutzumachen wäre, zu verhindern. Ich müsse sie doch begreifen; sie als Schwester und Schwager von Tante Julia seien in einer sehr schwierigen Situation meinen Eltern und dem Rest der Familie gegenüber: sie könnten nicht für und nicht gegen sie sein. Sie würden uns helfen, sie seien ja schon dabei, und nun sei es an mir, etwas
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