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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Hand über den Buchrücken, als wollte er eine Katze streicheln. »Ein alter Gefährte meiner Abenteuer«, murmelte er bewegt und reichte es mir. »Ein Freund und guter Helfer bei der Arbeit.“
    Das Buch, in prähistorischer Zeit bei Espasa Calpe erschienen – der dicke Einband trug alle Flecken und Kratzer der Welt, und die Seiten waren vergilbt –, war von einem unbekannten Autor mit pompösem Titel „Adalberto Castejön de la Reguera, Licenciado por la Universidad de Murcia en Letras Clâsicas, Gramâtica y Retôrica«. Das Buch trug einen langen Titel: »Zehntausend literarische Zitate der hundert besten Schriftsteller der Welt« und einen Untertitel: »Was Cervantes, Shakespeare, Molière, etc. über Gott, das Leben, den Tod, die Liebe, das Leiden, etc. … gesagt haben.«
    Wir waren schon in der Galle Belén. Als ich ihm die Hand gab, sah ich zufällig auf die Uhr und geriet in Panik. Es war schon zehn. Ich hatte das Gefühl gehabt, eine halbe Stunde mit dem Künstler zusammengewesen zu sein – tatsächlich hatten die soziologische Klatschanalyse der Stadt und die Verdammung der Argentinier drei Stunden gedauert. Ich lief zu Radio Panameri-cana, überzeugt davon, daß Pascual die fünfzehn Minuten der 9-Uhr-Nachrichten irgendeinem Pyromanen aus der Türkei oder einem Kindesmörder in Porvenir gewidmet hatte. Aber es konnte nicht so schlimm gewesen sein, denn ich traf die Gena-ros im Fahrstuhl, und sie schienen nicht verärgert zu sein. Sie erzählten mir, daß sie an diesem Abend den Vertrag mit Lucho Gatica unterzeichnet hätten, er werde eine Woche exklusiv für Panamericana nach Lima kommen. In meinem Dachverschlag ging ich die Nachrichten durch, die brauchbar zu sein schienen. Ohne Eile ging ich zur Plaza San Martin, um das Colectivo nach Miraflores zu nehmen. Um 11 Uhr kam ich bei meinen Großeltern an; sie schliefen schon. Meine Großmutter stellte mir immer das Essen in den Backofen, aber dieses Mal fand ich außer dem Teller mit Teigröllchen, Reis und Spiegelei – mein tägliches Menü – noch eine mit zittriger Hand geschriebene Nachricht: »Onkel Lucho hat angerufen. Du hast Julita versetzt, mit der Du ins Kino gehen wolltest. Du bist ein Flegel und sollst sie anrufen, um Dich zu entschuldigen. Großvater.« Ich selbst fand, es gehe nicht an, die Nachrichten und eine Verabredung mit einer Dame wegen eines bolivianischen Schreiberlings zu vergessen. Unangenehm berührt und schlechtgelaunt über meine ungewollte Ungezogenheit ging ich ins Bett. Bevor ich einschlief, wälzte ich mich hin und her und versuchte mich davon zu überzeugen, sie sei selbst schuld – warum zwang sie mir diese Kinogänge zu diesen scheußlichen Filmen auf-, und suchte eine Entschuldigung für meinen Anruf morgen. Es fiel mir nichts Überzeugendes ein, und ihr die Wahrheit zu sagen, wagte ich nicht. Statt dessen beging ich eine heldenmütige Tat. Ich ging nach den 8-Uhr-Nachrichten in einen Blumenladen im Zentrum und schickte ihr ein.en Strauß Rosen, der mich 100 Soi kostete, mit einer Karte, auf die ich nach langem Zögern schrieb, was mir ein Wunderwerk lakonischer Eleganz zu sein schien: »Ergebenste Entschuldigung.«
    Am Nachmittag machte ich zwischen den Nachrichten einige Entwürfe für meine erotisch-pikareske Erzählung über die Tragödie des Senators aus Arequipa. Ich nahm mir vor, heute abend intensiv zu arbeiten, aber nach El Panamericano kam Javier und holte mich zu einer spiritistischen Sitzung in Barrios Altos ab. Das Medium war ein Schreiber, den er in den Büros des Banco de Réserva kennengelernt hatte. Javier hatte viel von ihm gesprochen, weil er ihm immer seine Erlebnisse mit den Seelen erzählte, die ihn auch außerhalb der offiziellen Sitzungen, zu denen er sie rief, spontan und in ganz unerwarteten Augenblicken aufsuchten, um mit ihm zu plaudern. Sie pflegten mit ihm zu spaßen, ließen zum Beispiel im Morgengrauen das Telephon klingeln, und wenn er den Hörer abnahm, hörte er auf der anderen Seite das unverwechselbare Gelächter seiner Urgroßmutter, die seit einem halben Jahrhundert tot war und seitdem (das hatte sie ihm selbst gesagt) im Fegefeuer saß. Oder sie erschienen ihm im Autobus, im Colectivo oder wenn er auf der Straße ging; sie flüsterten ihm ins Ohr, und er mußte die ganze Zeit stumm bleiben und ungerührt (»ihnen die Puste ausgehen lassen«, hatte er wohl gesagt), damit die Leute ihn nicht für verrückt hielten. Fasziniert hatte ich Javier gebeten, eine Sitzung mit dem

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