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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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freudianische Phantasie lösen. Er würde seiner Gattin während des Liebesaktes eine Piratenklappe über das eine Auge legen.
    Die Sitzung endete ungefähr um 2 Uhr morgens. Während wir durch die Straßen von Barrios Altos wanderten und ein Taxi suchten, das uns zur Plaza San Martin bringen könnte, wo wir das Colectivo nehmen wollten, ärgerte ich Javier damit, daß ich ihm vorwarf, durch seine Schuld habe das Jenseits alle Poesie und alles Geheimnisvolle für mich verloren, durch seine Schuld sei ich zu der Erkenntnis gelangt, alle Toten seien blödsinnig, durch seine Schuld könne ich nun nicht mehr Agnostiker sein und müsse in der Sicherheit leben, daß mich im Leben nach dem Tode, das es gebe, eine Ewigkeit des Schwachsinns und tödlicher Langeweile erwarte. Wir fanden ein Taxi, und zur Strafe mußte Javier bezahlen.
    Zu Hause fand ich neben Teigröllchen, Reis und Spiegelei eine neue Nachricht: »Julita hat angerufen, sie habe die Rosen bekommen. Sie seien sehr hübsch und gefielen ihr. Du sollst nicht glauben, Du könntest Dich durch die Rosen davon befreien, an einem der nächsten Tage mit ihr ins Kino zu gehen. Großvater.«
    Am nächsten Tag war Onkel Luchos Geburtstag. Ich kaufte ihm eine Krawatte und wollte mittags zu ihm nach Hause gehen, aber Genaro jun. kam überraschend in meinen Verschlag und zwang mich, mit ihm im Raimundi zu essen. Ich sollte ihm helfen, Anzeigen aufzusetzen, die an diesem Sonntag in den Zeitungen erscheinen und die Hörspielserien von Pedro Camacho ankündigen sollten, die am Montag beginnen würden. Wäre es nicht logischer gewesen, den Künstler selbst die Anzeigen schreiben zu lassen?
    »Das Dumme ist nur, daß er sich weigert«, erklärte Genaro jun. und rauchte wie ein Schlot. »Seine Librettos brauchten keine schnöde Propaganda; sie setzten sich allein durch und ich weiß nicht was für dummes Zeug mehr. Der Typ ist ganz schön schwierig, hat viele Macken. Das mit den Argentiniern hast du gehört, nicht? Er hat uns gezwungen, die Verträge zu lösen und Abfindungen zu zahlen. Ich hoffe nur, seine Sendungen rechtfertigen diese Dünkelhaftigkeit.«
    Während wir die Anzeigen entwarfen, zwei Stockfische verdrückten, eiskaltes Bier tranken und hin und wieder jene grauen Mäuse über die Balken des Raimundi huschen sahen, die dort als Beweis für das Alter des Lokals ausgesetzt zu sein schienen, erzählte mir Genaro jun. von noch einem Streit, den er mit Pedro Camacho gehabt hatte. Grund dafür waren die Hauptfiguren der vier Hörspielserien, mit denen er in Lima debütierte. In allen vier Geschichten war der Held ein Fünfzigjähriger, »der auf wunderbare Weise jung geblieben war«. »Wir haben ihm erklärt, alle Hörerumfragen hätten ergeben, daß das Publikum Liebhaber zwischen dreißig und fünfunddreißig will. Aber er ist stur wie ein Esel«, erregte sich Genaro jun. und stieß Rauch aus Mund und Nase. »Wenn ich jetzt alles falsch gemacht habe und dieser Bolivianer ein gewaltiger Reinfall wird?«
    Mir fiel ein, daß der Künstler während unseres Gesprächs am Vorabend in seiner Kammer in Radio Central voller Eifer über den Mann von fünfzig Jahren dogmatisiert hatte. Das Alter der geistigen Höchstleistung und der sinnlichen Kraft, der Erfahrung, hatte er gesagt. Das Alter, in dem man von den Frauen begehrt und von den Männern gefürchtet werde. Er hatte mit verdächtigem Nachdruck darauf bestanden, daß das Alter etwas »Optatives« sei. Ich schloß daraus, daß der bolivianische Schreiber fünfzig sein müsse und daß ihn das Alter schrecke; ein Fünkchen menschlicher Schwäche in diesem marmornen Geist.
    Als wir die Anzeigen fertig hatten, war es zu spät, um noch auf einen Sprung nach Miraflores zu fahren. Darum rief ich Onkel Lucho an und sagte ihm, ich werde am Abend vorbeikommen und ihm gratulieren. Ich nahm an, ich würde eine Versammlung von Familienmitgliedern vorfinden, die ihn feiern wollten, doch außer Tante Olga und Tante Julia war niemand da. Die Verwandten waren im Laufe des Tages gekommen. Sie tranken Whisky und boten mir ein Glas an. Tante Julia dankte mir noch einmal für die Rosen – ich sah sie auf der Anrichte in der Diele stehen, und es waren eigentlich recht wenige – und fing sofort an, mich wieder aufzuziehen. Sie bat mich, doch zu erzählen, welche Art »Programm« mich an dem Abend, als ich sie hatte sitzenlassen, dazwischengekommen sei: eine »Kleine« von der Universität, ein »Püppchen« vom Sender? Sie trug ein blaues Kleid,

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