Tante Julia und der Kunstschreiber
entweder keusch oder ehebrecherisch sein müssen.«
»Diese Geschichte mit Carlota ist doch nur eine dieser typischen Verleumdungen aus Arequipa«, widersprach Tante Olga. »Adolfo sieht aus wie ein ganzer Mann.« Die »Geschichte« vom Senator und Dona Carlota kannte ich sehr gut, denn sie war das Thema einer anderen Erzählung gewesen, die die Lobeshymnen von Javier in den Papierkorb geschickt hatten. Diese Ehe hatte den Süden der Republik aufgewühlt, denn Don Adolfo und Dona Carlota besaßen beide Ländereien in Puno, und ihre Verbindung hatte latifundistische Folgen gehabt. Alles hatte in großem Stil begonnen; sie ließen sich in der Kirche von Yanahura trauen. Die Gäste kamen aus ganz Peru zu einem lukullischen Bankett angereist. Nach vierzehntägigen Flitterwochen ließ die Braut ihren Mann irgendwo in der Welt sitzen, kehrte skandalöserweise allein nach Arequipa zurück und erklärte zur allgemeinen Verwunderung, sie wolle in Rom die Annullierung der Ehe beantragen. Die Mutter von Adolfo Salcedo traf Dona Carlota eines Sonntags nach der 11-Uhr-Messe auf dem Vorplatz der Kathedrale und fuhr sie sogleich voller Zorn an:
»Warum hast du meinen armen Sohn auf so eine Weise verlassen, du Schlampe!«
Mit einer großartigen Geste antwortete die Großgrund besitzerin von Puno mit lauter Stimme, damit es auch alle Leute hören konnten:
»Weil Ihr Sohn das, was die Herren haben, nur zum Pinkeln benutzen kann, gnädige Frau.«
Sie hatte die Annullierung der kirchlichen Eheschlie ßung erreicht, und bei Familienversammlungen war Adolfo Salcedo ein unerschöpflicher Quell für dumme Witze. Seit er Tante Julia kannte, umwarb er sie mit Einladungen ins Grill Bolivar und ins »91«, er schenkte ihr Parfüms und bombardierte sie mit Rosenbouquets. Ich war glücklich über diese Nachricht von der Romanze und wartete darauf, daß Tante Julia erscheine, um irgendeinen Spottpfeil auf ihren neuen Kandidaten abzuschießen. Aber sie nahm mir den Wind aus den Segeln, denn als sie zur Kaffeestunde ins Eßzimmer kam – sie brachte einen Berg von Paketen mit–, verkündete sie unter lautem Gelächter: »Die Gerüchte stimmen. Senator Salcedo schnaubt nicht.« »Julia, um Gottes willen, benimm dich«, protestierte Tante Olga. »Jeder muß doch glauben, daß …« »Er hat es mir heute morgen selbst erzählt«, erklärte Tante Julia voller Glück über die Tragödie des Großgrundbesitzers. Bis er fünfundzwanzig Jahre alt war, ist er ganz normal gewesen. Dann, auf einer unglücklichen Ferienreise in die Vereinigten Staaten, ereignete sich das Unerwartete. In Chicago, San Francisco oder Miami – Tante Julia wußte es nicht mehr genau – hatte der junge Adolfo eine Dame aus einem Kabarett erobert (so glaubte er), und sie nahm ihn mit in ein Hotel. Er war gerade in voller Aktion, als er eine Messerspitze in seinem Rücken fühlte. Als er sich umdrehte, stand da ein zwei Meter großer Einäugiger. Sie taten ihm nichts, schlugen ihn auch nicht, nahmen ihm nur die Uhr, eine Medaille und seine Dollars ab. So fing es an. Nie wieder! Seit damals fühlte er jedesmal, wenn er mit einer Dame zusammen war und gerade in Aktion treten wollte, die Kälte des Stahls an seiner Wirbelsäule, sah das zerstörte Gesicht des Einäugigen, begann zu schwitzen, und es sank ihm der Mut. Er hat tausend Ärzte, Psycho logen und sogar einen Kurpfuscher in Arequipa aufgesucht, der ihm schließlich riet, sich in Vollmondnächten am Fuß der Vulkane lebendig einzugraben.
»Sei doch nicht so boshaft, mach dich nicht über den armen Kerl lustig.« Tante Olga zitterte vor Lachen. »Wenn ich sicher sein könnte, daß es ihm immer so geht, würde ich ihn heiraten, wegen des Geldes«, sagte Tante Julia ohne die geringsten Skrupel. »Aber wenn ich ihn kuriere? Stell dir diesen Mummelgreis vor, wie er versucht, die verlorene Zeit mit mir wieder aufzuholen!«
Ich dachte an die Freude, die das Abenteuer des Senators aus Arequipa Pascual bereitet hätte, an die Begeisterung, mit der er ihm eine volle Nachrichtensendung gewidmet hätte. Onkel Lucho warnte Tante Julia, sie würde niemals einen peruanischen
Ehemann finden, wenn sie so anspruchsvoll sei, und sie klagte darüber, daß hier wie in Bolivien die gutaussehenden Burschen arm und die reichen häßlich seien, und wenn zufällig einmal ein gutaussehender Reicher auftauche, dann sei er schon verheiratet.
Plötzlich wandte sie sich an mich und fragte, ob ich die ganze Woche aus Furcht, sie würde mich wieder
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