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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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sie hinter mir hatte: daß sie mich nie durchfallen ließen, sprach nicht für mich, sondern gegen die Universität). Pedro Camacho hatte nichts dagegen, und es schien sogar, als wäre ihm jene menschliche Gegenwart, die ihm beim »schöpferischen Arbeiten« zuhörte, durchaus nicht unangenehm.
    Ich setzte mich in das Fenster und steckte die Nase in irgendein Gesetzbuch. In Wirklichkeit beobachtete ich ihn. Er schrieb sehr schnell mit zwei Fingern. Ich sah ihm zu und glaubte es doch nicht. Nicht ein einziges Mal hielt er inné, um ein Wort zu suchen oder einen Gedanken hin und her zu wenden, nicht ein einziges Mal erschien in diesen fanatischen, hervorstehenden Augen der Schatten eines Zweifels. Er sah aus, als schriebe er einen Text ins Reine, den er auswendig wußte, als tippte er, was man ihm diktierte. Wie war es möglich, bei der Geschwindigkeit, mit der seine Finger auf die Tasten fielen, neun bis zehn Stunden am Tag die Situationen, die Ereignisse, die Dialoge der verschiedenen, ganz unterschiedlichen Geschichten zu erfinden? Es war möglich. Aus diesem hartnäckigen Schädel, diesen unermüdlichen Händen kamen die Manuskripte eins nach dem anderen, genau abgemessen, wie Wurstscheiben aus einer Maschine. Wenn er ein Kapitel abgeschlossen hatte, korrigierte er es nicht, las es auch nicht noch einmal durch. Er gab es der Sekretärin zum Kopieren und begann unverzüglich, ohne sich Gedanken über die Fortsetzung zu machen, mit der Herstellung des nächsten Stücks. Einmal sagte ich, wenn man ihm beim Arbeiten zusehe, werde man an die Theorie der französischen Surrealisten über das automatische Schreiben erinnert, jenes Schreiben, das direkt aus dem Unbewußten kommt und jede rationale Zensur umgeht. Ich bekam eine sehr nationalistische Antwort: »Die Gehirne unseres mestizischen Amerika können bessere Dinge hervorbringen als die der Franzmänner. Nur keine Komplexe, lieber Freund.«
    Warum benutzte er nicht als Grundlage für seine Geschichten in Lima die, die er in Bolivien geschrieben hatte? Ich fragte ihn, und er erwiderte mir mit einer jener Allgemeinheiten, denen man unmöglich etwas Konkretes entnehmen konnte. Die Geschichten müßten frisch sein wie Obst und Gemüse, wenn sie das Publikum erreichen sollten, denn die Kunst toleriere keine Konserven und schon gar keine Nahrungsmittel, die die Zeit verdorben habe. Außerdem müßten es »Geschichten aus der Umgebung der Hörer« sein. Wie sollten sich Leute aus Lima für Episoden interessieren, die in La Paz geschehen waren? Aber ergab diese Gründe an, weil die Notwendigkeit, zu theoretisieren, alles in unpersönliche Wahrheit, in ewige Axiome zu verwandeln, für ihn so zwanghaft war wie das Schreiben selbst. Wahrscheinlich war der einfachste Grund dafür, daß er seine alten Hörspiele nicht benutzte, der: er hatte nicht das geringste Interesse daran, sich Arbeit zu ersparen. Leben war für ihn Schreiben. Es kam ihm überhaupt nicht darauf an, daß seine Werke überdauerten. Wenn sie einmal gesendet waren, vergaß er sie. Er versicherte mir, er bewahre von keinem seiner Hörspiele eine Kopie. Sie waren in der stillschweigenden Überzeugung geschrieben worden, daß sie sich auflösten, sobald das Publikum sie aufgenommen hatte. Einmal fragte ich ihn, ob er nie daran gedacht habe, sie zu publizieren. »Meine Schriften erhalten sich an einem unauslöschlicheren Ort, als Bücher es sind«, belehrte er mich sofort. »Im Gedächtnis der Radiohörer.«
    Noch am gleichen Tag, an dem ich mit Genaro jun. gegessen hatte, sprach ich mit Pedro Camacho über den argentinischen Protest. Gegen 6 Uhr erschien ich in seiner Kammer und lud ihn ein ins Bransa. Aus Furcht vor seiner Reaktion ließ ich die Nachricht nur nach und nach los: Es gebe sehr mißgünstige Leute, die nicht in der Lage seien, Ironie zu ertragen, und außerdem sei in Peru die Gesetz gebung, was Pamphlete angehe, außerordentlich streng, eine Rundfunkstation könne aus ganz unbedeutenden Gründen geschlossen werden. Die argentinische Botschaft habe sich, ein Zeichen äußerst geringer Weitläufigkeit, von einigen Anspielungen verletzt gefühlt und habe mit einer offiziellen Klage beim Auswärtigen Amt gedroht… »In Bolivien haben sie sogar mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen gedroht«, unterbrach er mich. »Eine Schmähschrift verbreitete sogar das Gerücht über Truppenkonzentrationen an der Grenze.« Er sagte es resigniert, wie wenn er dächte: Pflicht der Sonne ist es, zu strahlen, was

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