Tante Julia und der Kunstschreiber
kann sie dafür, wenn das zu einem Brand führt.
»Die Genaros bitten Sie, es nach Möglichkeit zu unterlassen, in den Hörspielen schlecht von den Argentiniern zu sprechen«, gestand ich ihm und fand ein Argument, das ihn, so dachte ich, beeindrucken würde. »Sie kümmern sich am besten gar nicht um sie. Sind sie es vielleicht wert?«
»Oh doch, denn sie inspirieren mich«, erklärte er und hielt die Angelegenheit damit für erledigt.
Auf dem Rückweg zum Sender erklärte er in spitz bübischem Tonfall, daß der Skandal von La Paz »sie ganz wild gemacht habe«. Er sei wegen eines Theaterstücks über die »bestialischen Sitten der Gauchos« ausgebrochen. In Radio Panamericana sagte ich Genaro jun., er solle sich über meine Fähigkeit als Vermittler keine Illusionen machen.
Zwei oder drei Tage später lernte ich die Pension kennen, in der Pedro Camacho lebte. Tante Julia war gekommen, um mich nach den letzten Nachrichten abzuholen, denn sie wollte einen Film sehen mit einem der großen romantischen Paare, Greer Garson und Walter Pidgeon, der im Metro lief. Kurz vor Mitternacht gingen wir über die Plaza San Martin, als ich Pedro Camacho aus Radio Central kommen sah. Kaum hatte ich ihn ihr gezeigt, wollte Tante Julia ihm vorgestellt werden. Wir gingen auf ihn zu, und er zeigte sich äußerst liebenswürdig, als ich ihm sagte, sie sei eine Landsmännin von ihm. »Ich bin eine Ihrer Verehrerinnen«, sagte Tante Julia, und um ihm noch mehr zu gefallen, log sie: »Seit ich aus Bolivien hier bin, lasse ich mir kein Hörspiel entgehen.“ Wir gingen ein Stück mit ihm, beinahe ohne es zu merken, Richtung Jirón Quilca, und unterwegs führten Pedro Camacho und Tante Julia ein patriotisches Gespräch, aus dem ich ausgeschlossen war, in dem die Minen von Potosi, das Taquina-Bier, die Maissuppe, die sie Lagua nennen, der Maisbrei mit frischem Käse, das Klima von Cochabamba, die Schönheit der Frauen von Santa Cruz und andere Objekte bolivianischen Stolzes vorkamen. Der Schreiber schien sehr zufrieden und sprach in den höchsten Tönen von seinem Land. Als wir an die Tür eines Hauses mit Baikonen und Fensterläden kamen, blieb er stehen, aber er verabschiedete uns nicht: »Kommen Sie doch mit hinauf«, schlug er uns vor, »mein Abendessen ist zwar bescheiden, aber wir können es teilen.«
Die Pension La Tapada war eines dieser alten zweistöckigen Häuser im Zentrum von Lima, die im vorigen Jahrhundert gebaut wurden und einmal weiträumig, komfortabel und vielleicht sogar luxuriös gewesen sind, und die später in dem Maße, in dem die Wohlhabenden aus dem Zentrum in die Badeorte abwanderten und das alte Lima an Stil verlor, langsam herunterkamen. Sie füllten sich, wurden ständig neu aufgeteilt, bis durch Trennwände, die die Zimmer verdoppelten oder vervierfachten, und durch neue Räume, die auf irgendeine Weise auf den Fluren oder auf den Dachterrassen und selbst auf den Baikonen und Treppen errichtet wurden, richtige Bienenstöcke entstanden. Die Pension La Tapada machte den Eindruck, als würde sie im nächsten Moment zusammenfallen. Die Stufen, über die wir zu dem Zimmer von Pedro Camacho hinaufstiegen, bogen sich unter unserem Gewicht, und kleine Staubwolken erhoben sich, die Tante Julia zum Niesen brachten. Eine Staubschicht bedeckte Wände und Fußböden, und ganz offensichtlich wurde in dem Haus niemals gefegt oder gewischt. Das Zimmer von Pedro Camacho sah aus wie eine Zelle. Es war sehr klein und fast leer. Da standen eine Bettstelle ohne Rücken, mit einer verwaschenen Decke darüber und einem Kissen ohne Bezug, ein kleiner Tisch mit einer Wachstuchdecke, ein Korbstuhl und ein Koffer; eine Schnur, an der ein paar Unterhosen und Strümpfe baumelten, war zwischen zwei Wänden aufgezogen. Daß der Schreiber seine Wäsche selbst wusch, überraschte mich nicht, doch daß er sich das Essen selbst zubereitete, wunderte mich. Er hatte einen Spirituskocher auf dem Fensterbrett, eine Kerosinflasche, ein paar Blechteller und –bestecke, ein paar Gläser. Mit einer großartigen Geste bot er Tante Julia den Stuhl an und mir das Bett:
»Setzen Sie sich. Der Raum ist bescheiden, aber das Herz ist groß.«
In zwei Minuten bereitete er das Abendessen. Die Zutaten schaukelten in einer Plastiktüte im Fenster. Das Menü bestand aus ein paar gekochten Würsten mit Spiegelei, Butterbrot und Käse und einem Joghurt mit Honig. Wir sahen ihm zu, wie er alles geschickt zubereitete, wie jemand, der dies jeden Tag tut, und ich
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