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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Weise nicht der Tagesablauf erträglicher, unterhaltsamer, bewegter? Aber natürlich mißdeutet das Unverständnis und die Dummheit der Leute alles.« Seine Stimme wurde zuerst wütend, dann untröstlich. Wenn man ihn verkleidet in Radio Central schreiben sähe, würden Gerüchte laut, man würde sich erzählen, er sei ein Transvestit, sein Büro würde zu einem Anziehungspunkt für die Morbidität des Packs. Er legte die Masken und die anderen Dinge wieder in den Koffer, schloß ihn und setzte sich wieder ins Fenster. Jetzt war er sehr traurig. Er murmelte, daß er in Bolivien, wo er immer in seinem eigenen »Atelier« gearbeitet hatte, »mit diesen Klamotten« niemals Probleme gehabt habe. Hier jedoch könne er nur am Sonntag seiner Gewohnheit entsprechend schreiben.
    »Beschaffen Sie sich die Verkleidungen für die Rollen, oder erfinden Sie die Rollen nach den Verkleidungs stücken, die Sie besitzen?« fragte ich ihn, um irgend etwas zu sagen, denn ich kam aus dem Staunen noch nicht heraus. Er sah mich an wie einen Neugeborenen:
    »Man merkt, daß Sie noch sehr jung sind«, tadelte er mich sanft. »Wissen Sie denn nicht, daß am Anfang immer das Wort steht?«
    Als wir, nachdem wir ihm überschwenglich für die Einladung gedankt hatten, auf die Straße zurückgekehrt waren, sagte ich zu Tante Julia, Pedro Camacho habe uns einen außerordentlichen Beweis seines Vertrauens gegeben, indem er uns in sein Geheimnis einweihte, und ich sei sehr gerührt. Sie war vergnügt, nie hatte sie sich vorgestellt, daß Intellektuelle so unterhaltsame Typen sein könnten.
    »Nun, nicht alle sind so«, belustigte ich mich. »Pedro Camacho ist ein Intellektueller in Anführungszeichen. Hast du bemerkt, daß er kein einziges Buch in seinem Zimmer hat? Er hat mir erzählt, daß er nicht liest, damit sein Stil nicht beeinflußt wird.«
    Wir kehrten Hand in Hand durch die stillen Straßen des Zentrums zurück zur Bushaltestelle, und ich sagte ihr, ich würde an einem Sonntag zu Radio Central gehen, nur um mir den durch die Masken mit seinen Kreaturen transsubstanziierten Schreiber anzusehen.
    »Er lebt wie ein Bettler, das ist nicht recht«, protestierte Tante Julia. »Seine Hörspielserien sind so berühmt, daß ich dachte, er verdient einen Haufen Geld.«
    Es irritierte sie, daß es in der Pension La Tapada weder eine Badewanne noch eine Dusche, gerade noch eine Toilette und ein schimmeliges Waschbecken auf dem ersten Treppenabsatz gab. Ob Pedro Camacho sich niemals wusch? Ich sagte, dem Schreiber seien so banale Dinge völlig gleichgültig. Sie gestand mir, daß ihr beim Anblick des Schmutzes in der Pension übel geworden sei und daß sie nur mit übermenschlicher Anstrengung die Wurst und das Ei habe essen können. Im Colectivo, einer alten Klapperkiste, die an jeder Ecke der Avenida Arequipa hielt, hörte ich sie, während ich ihr langsam das Ohr und den Hals küßte, beunruhigt sagen:
    »Also alle Schriftsteller sind Hungerleider. Das heißt, du wirst dein ganzes Leben in Armut verbringen, Varguitas.« Seit sie dies von Javier gehört hatte, nannte sie mich auch Varguitas.
     

 
    VIII
     
    Don Federico Téllez Unzâtegui sah auf seine Uhr, stellte fest, daß es genau 12 war, und sagte zu dem halben Dutzend Angestellten von der „Nagetier-Vernichtungs-AG«, sie könnten zum Essen gehen. Er ermahnte sie nicht, pünktlich um 3 Uhr zurück zu sein, nicht eine Minute später, denn alle wußten nur zu gut, daß in diesem Unternehmen Unpünktlichkeit ein Frevel war. Man zahlte Geldstrafen oder wurde sogar entlassen. Nachdem alle fort waren, schloß Don Federico seiner Gewohnheit gemäß selbst das Büro doppelt ab, setzte seinen mausgrauen Hut auf und ging über den überfüllten Bürgersteig des Jirón Huancave-lica zu dem Parkplatz, auf dem sein Auto stand (ein Sedan Marke Dodge). Er war ein Mann, der Furcht und schwermütige Gedanken einflößte; man brauchte ihm nur auf der Straße zu begegnen und merkte sofort, daß er anders war als seine Mitbürger. Er stand in der Blüte seiner Jahre; er war fünfzig, und seine persönlichen Kennzeichen – breite Stirn, Adlernase, durchdringender Blick, Güte und aufrechte Gesinnung – hätten aus ihm einen Don Juan machen können, wenn er sich für Frauen interessiert hätte. Aber Don Federico Téllez Unzâtegui hatte sein Leben einem Kreuzzug verschrieben und gestattete nichts und niemandem – bis auf die unerläßlichen Stunden Schlaf, die Ernährung, den Umgang mit seiner Familie –, ihn

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