Tante Julia und der Kunstschreiber
ich schreiben würde, wenn ich Schriftsteller war. An dem Nachmittag, an dem Javier uns im Cream Rica am Jirón de la Union entdeckte, las ich Tante Julia meine Erzählung über Doroteo Marti vor. Sie hieß mittelalterlich »Die Erniedrigung des Kreuzes« und hatte fünf Seiten. Es war die erste Erzählung, die ich ihr vorlas. Ich las sehr langsam, um meine Angst vor ihrem Urteil zu verbergen. Die Erfahrung war für die Empfindlichkeit des zukünftigen Schriftstellers katastrophal. Während ich las, unterbrach mich Tante Julia: »Aber so war das doch gar nicht. Du hast ja alles auf den Kopf gestellt«, sagte sie überrascht und sogar verärgert. »Aber das hat er doch gar nicht gesagt, aber so …« Ich, aufs äußerste erbittert, hielt inné, um sie darüber zu belehren, daß das, was sie hörte, keine wahrheitsgetreue Wiedergabe der Geschichte sei, die sie mir erzählt hatte, sondern eine Erzählung, eine Erzählung; alles, was ich hinzugefügt oder weggelassen habe, seien Mittel, um bestimmte Effekte zu erreichen, »komische Effekte«, unterstrich ich, damit sie verstünde und lächele, sei es auch nur aus Mitleid.
»Aber im Gegenteil«, protestierte Tante Julia unerschrocken und böse. »Mit dem, was du verändert hast, ist der ganze Witz raus. Wer wird glauben, daß soviel Zeit vergeht vom ersten Schwanken des Kreuzes bis zu seinem Fall. Wo ist denn jetzt der Witz?«
Obwohl ich bereits in meinem gedemütigten Innern beschlossen hatte, die Erzählung über Doroteo Marti in den Papierkorb zu werfen, sah ich mich in eine glühende und schmerzliche Verteidigung des Rechts der literarischen Phantasie, die Realität zu brechen, gedrängt, als mich jemand an der Schulter berührte.
»Wenn ich störe, sag es mir, und ich gehe, ich hasse es, lästig zu werden«, sagte Javier, nahm sich einen Stuhl, setzte sich und bestellte sich beim Kellner einen Kaffee. Er lächelte Tante Julia an:
»Angenehm, ich bin Javier, der beste Freund dieses Prosaisten. Die hattest du aber gut versteckt, Bruder.“ »Das ist Julita, die Schwester meiner Tante Olga«, erklärte ich. »Wie bitte? Die berühmte Bolivianerin?« Javier ging die Puste aus. Wir hielten uns an den Händen, als er zu uns trat, und hatten uns nicht losgelassen. Jetzt sah er ohne seine vorherige weltmännische Sicherheit auf unsere verschränkten Finger. »Donnerwetter, Varguitas.«
»Ich bin die berühmte Bolivianerin?« fragte Tante Julia. »Berühmt, warum?«
»Du warst so unsympathisch mit deinen lästigen Witzen, als du hier ankamst«, klärte ich sie auf. »Javier kennt nur den ersten Teil der Geschichte.«
»Den besten hast du mir vorenthalten, schlechter Erzähler und noch schlechterer Freund«, sagte Javier, der seine Lockerheit wiedergewonnen hatte, und deutete auf unsere ineinander verschränkten Hände. »Nun erzählt doch, erzählt doch.« Er war wirklich sympathisch, sprach mit Händen und Füßen, machte einen Witz nach dem anderen, und Tante Julia war begeistert von ihm. Ich freute mich, daß er uns entdeckt hatte; zwar hatte ich nicht vorgehabt, ihm meine Liebesgeschichte zu erzählen, denn ich haßte diese Art Vertraulichkeiten (besonders in einem so verzwickten Fall), aber da der Zufall ihn zum Mitwisser unseres Geheimnisses gemacht hatte, war ich froh, mit ihm über die Wechselfälle dieses Abenteuers sprechen zu können. Als er sich an diesem Vormittag verabschiedete, küßte er Tante Julia auf die Wange und sagte mit einer Verbeugung:
»Ich bin ein ausgezeichneter Kuppler, zählt auf mich, für was auch immer.«
»Warum hast du nicht auch noch gesagt, du würdest uns das Bett bereiten?« schimpfte ich, kaum daß er sich, neugierig auf Einzelheiten, in meinem Hühnerstall bei Radio Panamericana blicken ließ.
»Sie ist so etwas wie deine Tante, nicht wahr?« sagte er und klopfte mir auf die Schulter. »Schon gut, du hast mich beeindruckt. Eine alte, reiche und geschiedene Geliebte. Zwanzig Punkte!«
»Das ist nicht meine Tante, sondern die Schwester der Frau meines Onkels«, erklärte ich ihm, was er bereits wußte, während ich eine Nachricht von »La Prensa« über den Krieg in Korea umschrieb. »Sie ist nicht meine Geliebte, sie ist nicht alt, und sie ist nicht reich. Nur das Geschieden stimmt.« »Alt soll heißen, älter als du, und reich war keine Kritik, sondern ein Glückwunsch. Ich hab was übrig für gute Partien«, lachte Javier. »Sie ist also nicht deine Geliebte? Was dann? Deine Liebste?«
»Etwas zwischen beidem«, sagte ich
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