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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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war ganz sicher, dies war sein gewohntes Mahl. Beim Essen war er unterhaltsam und galant und ließ sich dazu herab, über solche Themen zu sprechen wie das Rezept von geschlagener Creme (Tante Julia bat ihn darum) und die billigste Seife für weiße Wäsche. Er aß seinen Teller nicht leer; als er ihn fortschob, deutete er auf die Reste und erlaubte sich einen Scherz: »Für Künstler ist Essen ein Laster, liebe Freunde.“
    Da ich ihn so gut gelaunt sah, wagte ich es, ihm einige Fragen über seine Arbeit zu stellen. Ich sagte, ich beneidete sein Stehvermögen, daß er trotz der Arbeitszeit eines Galeerensträflings niemals müde zu sein schien.
    »Ich habe meine Strategie, damit der Tagesablauf immer abwechslungsreich ist«, gestand er. Er senkte die Stimme, als wollte er verhindern, daß eine gespenstische Konkurrenz sein Geheimnis entdeckte, und sagte, er schreibe niemals länger als sechzig Minuten an ein und derselben Geschichte; der Wechsel von einem Thema zum anderen sei erfrischend. Er habe dadurch jede Stunde das Gefühl, gerade erst mit der Arbeit begonnen zu haben.
    »In der Abwechslung liegt das Vergnügen, meine Herrschaften«, wiederholte er mit erregten Augen und den Grimassen eines bösartigen Zwerges. Darum sei es sehr wichtig, daß die Geschichten nicht nach Ähnlichkeiten, sondern nach Gegensätzen geordnet seien: Der totale Wechsel von Klima, Ort, Thema und Personen verstärke das Gefühl von Erneuerung. Andererseits seien auch die Tees aus Kamille und Pfefferminz sehr nützlich, sie entspannten die Gehirnwindungen, und die Phantasie danke es ihm. Daß er von Zeit zu Zeit die Schreibmaschine ruhen lassen müsse, um ins Studio zu gehen, vom Schreiben zur Regie und zur Lesung wechseln müsse, sei für ihn auch eine Art Ausruhen, eine Veränderung, die ihn belebe. Außerdem habe er im Laufe seiner Jahre etwas entdeckt, was die Ignoranten und Unsensiblen vielleicht für eine Kinderei hielten. Aber was bedeute ihm schon, was das Gesindel denkt? Wir sahen ihn zögern, schweigen, sein kleines karikaturhaftes Gesicht wurde traurig:
    »Hier kann ich es leider nicht in die Praxis umsetzen«, sagte er melancholisch. »Nur am Sonntag, wenn ich allein bin. An den Wochentagen gibt es immer zu viele Neugierige, sie würden es nicht verstehen.«
    Woher diese Skrupel bei ihm, der in so olympischer Weise auf die Sterblichen herabsah? Tante Julia war so neugierig wie ich. »Sie können uns nicht so auf die Folter spannen«, bat ich ihn. »Was ist das für ein Geheimnis, Herr Camacho?« Er sah uns schweigend an wie ein Zauberer, der zufrieden die Aufmerksamkeit verfolgt, die er hat erwecken können. Dann stand er mit priesterhafter Lang samkeit auf (er saß im Fenster neben dem Herd), ging zu seinem Koffer, öffnete ihn und holte, wie ein Taschen spieler aus dem Zylinder Tauben oder Fähnchen zieht, eine unerwartete Sammlung von Gegenständen hervor: die Perücke eines englischen Richters, künstliche Schnurrbärte in verschiedenen Größen, einen Feuerwehr helm, eine militärische Auszeichnung, Masken einer dicken Frau, eines Greises und eines dämlichen Kindes, den Stock eines Verkehrspolizisten, die Mütze und die Pfeife des Seebären, den weißen Kittel eines Arztes, falsche Nasen, Ohren, Wattebärte … Wie eine elektrische Puppe zeigte er die Zauberstücke vor, und vielleicht, damit wir sie besser schätzten, vielleicht einem inneren Zwang nachgebend, setzte er sie mit einer Geschwindigkeit auf, rückte sie zurecht, nahm sie ab, die die ständige Gewohnheit, die regelmäßige Benutzung verriet. Auf diese Weise wurde Pedro Camacho vor Tante Julia und mir, die wir ihn verdutzt ansahen, mit jedem Kostüm zu einem Arzt, einem Seemann, einem Richter, einer alten Frau, einem Bettler, einer Betschwester, einem Kardinal… Gleichzeitig, während er diese Wechsel vollzog, sprach er erregt:
    »Warum soll ich nicht das Recht haben, mich mit meinen eigenen Figuren zu identifizieren, mich ihnen anzugleichen? Wer verbietet mir, während ich sie schreibe, ihre Nasen, ihre Kleider, ihr Haar zu tragen?« sagte er und vertauschte einen Kardinalshut mit einer Pfeife, die Pfeife mit einem Regenmantel, den Regenmantel mit einer Krücke. »Wen geht es etwas an, daß ich meine Phantasie mit ein paar Klamotten öle? Was ist Realismus, meine Herrschaften, jener vielzitierte Realismus, was ist das? Welche bessere Art gibt es, realistische Kunst zu machen, als sich unmittelbar mit der Wirklichkeit zu identifizieren, und wird auf diese

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