Tante Julia und der Kunstschreiber
und wußte, daß ihn das irritieren würde.
»Ah, du willst also den Geheimnisvollen spielen, dann scher dich doch auf gradem Weg zum Teufel«, warnte er mich. »Und außerdem bist du ein ganz mieser Kerl: Ich erzähl dir meine ganze Liebesgeschichte mit der kleinen Nancy, und du hast mir dein Goldstück verheimlicht.«
Ich erzählte ihm die Geschichte von Anfang an, die Schwierigkeiten, die wir hatten, um uns sehen zu können, und er begriff, warum ich ihn in den letzten Wochen zwei- oder dreimal um Geld angepumpt hatte. Er war sehr interessiert, fraß mich buchstäblich mit seinen Fragen auf und schwor mir schließlich, er werde sich in meine gute Fee verwandeln. Aber als er sich verabschiedete, wurde er ernst:
»Ich nehme an, es ist nur ein Spiel«, predigte er und sah mich an wie ein bittender Vater. »Vergiß nicht, daß wir, du und ich, trotz allem noch Grünschnäbel sind.«
»Wenn ich schwanger werde, das schwöre ich dir, lasse ich abtreiben«, beruhigte ich ihn.
Nachdem er gegangen war und während Pascual den Großen Pablito mit einer Massenkarambolage in Deutschland unterhielt, bei der zwanzig Autos ineinandergefahren waren, weil ein zerstreuter belgischer Tourist seinen Wagen mitten auf der Straße gestoppt hatte, um einem Hündchen zu helfen, dachte ich nach. Stimmte es, daß die Geschichte nichts Ernstes war? Es stimmte. Um eine ganz andere Erfahrung handelte es sich, um etwas Reiferes und Waghalsigeres als alles, was ich bisher erlebt hatte. Aber wenn wir sie in guter Erinnerung behalten wollten, durfte sie nicht mehr lange so weitergehen. Darüber dachte ich gerade nach, als Genaro jun. hereinkam und mich zum Essen einlud. Er nahm mich mit nach Magdalena, in ein kreolisches Gartenrestaurant, zwang mir Reis mit Ente und Brezeln mit Honig auf, und beim Kaffee kam er zur Sache: »Du bist sein einziger Freund, sprich mit ihm, er bringt uns in Teufels Küche. Ich kann es nicht, mich schimpft er ungebildet und unwissend. Gestern hat er meinen Vater einen Kleinbürger genannt. Ich möchte weiteren Ärger mit ihm vermeiden. Eigentlich müßte ich ihn rausschmeißen, aber das wäre eine Katastrophe für das Unternehmen.«
Das Problem war ein Brief des argentinischen Botschafters an Radio Central, in dem er mit giftigen Worten gegen die »verleumderischen, perversen und psychotischen« Anspielungen auf die Heimat Sarmientos und San Martins protestierte, die überall in den Hörspielen (die der Diplomat »dramatische Geschichten in Einzelkapiteln« nannte) auftauchten. Der Botschafter nannte einige Beispiele, die, so versicherte er, nicht ex professe gesucht, sondern zufällig vom Personal der Botschaft aufgenommen worden waren, das »diese Art Sendung liebt«. Eines dieser Beispiele behaupte nichts Geringeres, als daß die sprichwörtliche Männlichkeit der Leute aus Buenos Aires nur ein Mythos sei, denn fast alle seien sie homosexuell (vorzugsweise auf passive Art). In einem anderen heiße es, daß man in ganz normalen Familien von Buenos Aires die nutzlosen Münder – von Alten und Kranken – hungern ließe, um den Haushalt zu entlasten. In wieder einem anderen werde gesagt, daß Rindfleisch nur für den Export sei, denn zu Hause esse man am liebsten Pferdefleisch; und an anderen Stellen heiße es, daß das häufige Fußballspielen, vor allem die Kopfbälle, das nationale Erbgut in Mitleidenschaft gezogen habe, was die zunehmende Zahl von Mißgeburten, Wahnsinnigen und anderen Arten von Krüppeln an den Ufern des schmutziggelben Flusses erkläre; daß man in den Wohnungen von Buenos Aires – »jener Weltstadt«, unterstrich der Brief– normalerweise seine biologische Notdurft in einen einfachen Eimer in dem gleichen Raum, in dem man aß oder schlief, verrichte …
»Du lachst, wir haben auch gelacht«, sagte Genaro jun. und biß sich die Fingernägel. »Aber heute ist ein Anwalt gekommen, und uns ist das Lachen vergangen. Wenn die Botschaft bei der Regierung vorstellig wird, kann man uns die Hörspielserien streichen, uns eine Strafe aufdrücken, den Sender schließen. Bitte ihn, er soll endlich die Argentinier vergessen.« Ich versprach, mein möglichstes zu tun, aber ohne große Hoffnung, denn der Schreiber war ein Mann von felsenfesten Prinzipien. Ich fühlte mich inzwischen als sein Freund; außer der entomologischen Neugier, die er bei mir weckte, schätzte ich ihn auch. Aber beruhte das auch auf Gegenseitigkeit? Pedro Camacho schien unfähig, seine Zeit, seine Energie auf eine Freundschaft
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