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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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die Gifttüte einwickeln, und wir setzten uns dann in ein Café in der Colmena. Er bestellte seine Kräutermischung und ich einen Kaffee.
    »Ich habe Liebeskummer, Freund Camacho«, gestand ich ihm ohne Umschweife, überrascht über mich selbst wegen der Hörspielformulierung; aber ich spürte, wenn ich so mit ihm sprach, distanzierte ich mich von meiner eigenen Geschichte, und gleichzeitig konnte ich meinem Jammer freien Lauf lassen. Er sah mich mit seinen hervorstehenden Augen durchdringend an, die noch kälter und noch schlechter gelaunt schienen als gewöhnlich. Sein schwarzer Anzug war gereinigt und gebügelt worden und so abgetragen, daß er blank war wie ein Zwiebelblatt.
    »Ein Duell bezahlt man in diesen plebejisch gewordenen Ländern mit dem Gefängnis«, urteilte er sehr ernst und machte einige zuckende Bewegungen mit den Händen. »Was Selbstmord angeht, so weiß niemand mehr diese Geste zu schätzen. Man tötet sich, und statt Reue, Erschauern, Bewunderung erntet man nur Spott. Das beste sind die praktischen Rezepte, lieber Freund.«
    Ich freute mich, ihn ins Vertrauen gezogen zu haben. Ich wußte, daß er schon gar nicht mehr an mein Problem dachte, da für Pedro Camacho niemand außer ihm selbst existierte, es war für ihn nur ein Vorwand, um sein theoretisierendes System in Aktion zu setzen. Ihm zuzuhören tröstete mich mehr (und mit geringeren Folgen) als ein Besäufnis. Nach dem Versuch eines bitteren Lächelns erklärte mir Pedro Camacho sein Rezept in Einzelheiten:
    »Ein harter, verletzender, lapidarer Brief an die Treulose«, sagte er, die Adjektive sicher setzend. »Ein Brief, nach dem sie sich fühlt wie eine Eidechse ohne Eingeweide, wie eine schmutzige Hyäne. Der Brief muß ihr beweisen, daß man kein Dummkopf ist, daß man von ihrem Verrat weiß, ein Brief, der von Verachtung trieft, der ihr ihre Treulosigkeit bewußt macht.« Er schwieg, dachte eine Weile nach, und mit leicht verändertem Ton gab er mir den größten Beweis seiner Freundschaft, den ich von ihm erwarten konnte: »Wenn Sie wollen, schreibe ich ihn für Sie.«
    Ich dankte ihm überschwenglich, sagte aber, da ich seinen Tageslauf eines Galeerensklaven kenne, würde ich niemals zulassen, daß er sich auch noch mit meinen privaten Angelegenheiten belaste. (Später bedauerte ich diese Skrupel, die mich um einen Text aus der Hand des Schreibers gebracht haben.) »Und was den Verführer angeht«, fuhr Pedro Camacho unverzüglich fort, mit einem bösen Glanz in den Augen, »da ist das beste ein anonymer Brief mit allen dazugehörigen Verleumdungen. Weshalb sollte das Opfer betäubt dastehen, während ihm die Hörner wachsen? Warum sollte es zulassen, daß sich die Treulosen am Beischlaf ergötzen? Man muß ihre Liebe kaputtmachen, sie schlagen, wo es schmerzt, sie mit Zweifeln vergiften. Mißtrauen muß man erwecken. Sie sollen anfangen, sich mit bösen Augen anzusehen und sich zu hassen. Ist Rache vielleicht nicht süß?«
    Ich warf ein, daß ein anonymer Brief nicht die Art des feinen Mannes sei, aber er beruhigte mich sehr schnell: wie ein Herr sollte man sich mit Herren betragen, und mit Schuften wie ein Schuft. Das war »wohlverstandenes Ehrgefühl«. Alles andere sei Idiotie.
    »Mit dem Brief an sie und dem anonymen Schreiben an ihn sind die Liebenden bestraft«, sagte ich. »Aber mein Problem? Wer nimmt mir den Kummer, die Verzweiflung, den Schmerz?« »Für so etwas gibt es nichts Besseres als Magnesia-Milch.« Ich hatte nicht die geringste Lust, darüber zu lachen. »Ich weiß, das erscheint Ihnen als übertriebener Materialismus. Aber hören Sie auf mich, ich habe Lebenserfahrung. In den meisten Fällen ist das, was man Herzweh und so weiter nennt, nichts anderes als schlechte Verdauung, harte Bohnen, die sich nicht zersetzen wollen, alter Fisch, Verstopfung. Ein gutes Abführmittel vertreibt allen Liebeswahn.«
    Dieses Mal war er zweifellos ein subtiler Humorist; er machte sich über mich und meine Hörner lustig; er glaubte kein Wort von dem, was er sagte; er übte den aristokratischen Spott, sich selbst zu beweisen, daß wir Menschen unverbesserliche Dummköpfe sind.
    »Haben Sie viele Liebesgeschichten, ein reiches Gefühlsleben gehabt?« fragte ich ihn.
    »Sehr reich, ja«, er nickte und sah mir über seine Tasse mit Pfefferminz- und Kamillentee, die er an den Mund gehoben hatte, in die Augen. »Aber ich habe niemals eine Frau von Fleisch und Blut geliebt.«
    Er machte eine wirkungsvolle Pause, als wollte er das

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