Tante Julia und der Kunstschreiber
Ausmaß meiner Unschuld oder Dummheit ermessen. »Glauben Sie, es wäre möglich, das zu tun, was ich tue, wenn die Frauen meine Energie verschlingen würden?« mahnte er mich mit Ekel in der Stimme. »Glauben Sie, man könne gleichzeitig Kinder und Geschichten zeugen? Oder man könne erfinden, ersinnen, wenn man unter der ständigen Bedrohung der Syphilis lebt? Die Frau und die Kunst schließen einander aus, mein Freund. In jeder Vagina liegt ein Künstler begraben. Sich fortzupflanzen, was hat das für einen Sinn? Machen das nicht die Hunde, die Spinnen, die Katzen? Ein Original muß man sein, mein Freund.«
Ohne Übergang sprang er plötzlich auf und erklärte, es sei höchste Zeit für das Hörspiel um 5 Uhr. Ich war enttäuscht, ich hätte ihm gern den ganzen Nachmittag lang zugehört und hatte den Eindruck, daß ich, ohne es gewollt zu haben, einen neuralgischen Punkt seiner Persönlichkeit berührt hatte. In meinem Büro bei Radio Panamericana wartete Tante Julia auf mich. Sie saß auf meinem Schreibtisch wie eine Königin und nahm die Ehrenbezeigungen von Pascual und dem Großen Pa-blito entgegen, die ihr eifrig und flink die Nachrichten zeigten und ihr erklärten, wie der Dienst funktionierte. Sie sah fröhlich aus und ganz ruhig; als ich hereinkam, wurde sie ernst und ein wenig blaß.
»Welche Überraschung!« sagte ich, um irgendetwas zu sagen. Aber Tante Julia war nicht für Euphemismen. »Ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß mir niemand den Telephonhörer einhängt«, sagte sie mit entschlossener Stimme. »Und schon gar nicht ein so junger Schnösel wie du. Möchtest du mir nicht sagen, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist?« Pascual und der Große Pablito blieben versteinert stehen und wandten die Köpfe von ihr zu mir und wieder zu ihr, außerordentlich interessiert an diesem Beginn eines Dramas. Als ich sie bat, einen Augenblick hinauszugehen, machten sie wütende Gesichter, aber sie wagten nicht aufzumucken. Sie gingen und warfen Tante Julia Blicke voller böser Gedanken zu. »Ich habe das Telephon eingehängt, aber eigentlich hatte ich Lust, dir den Hals umzudrehen«, sagte ich, als wir allein waren.
»Solche Anfälle kannte ich bei dir noch nicht«, sagte sie und sah mir in die Augen. »Darf man wissen, was los ist?« »Du weißt genau, was los ist, also spiel nicht die Dumme«, sagte ich.
»Bist du eifersüchtig, weil ich mit Dr. Osores zu Mittag gegessen habe?« fragte sie mich in spöttischem Ton. »Man merkt doch, daß du ein junger Bengel bist, Marito.«
»Ich habe dir verboten, mich Marito zu nennen«, erinnerte ich sie. Ich spürte, wie der Zorn mich übermannte, daß mir die Stimme zitterte und ich nicht mehr wußte, was ich sagte. »Und jetzt verbiete ich dir, mich einen jungen Bengel zu nennen.« Ich setzte mich auf die Ecke meines Schreibtisches, und Tante Julia, als wollte sie einen Kontrapunkt bilden, stand auf und machte ein paar Schritte zum Fenster. Die Arme über der Brust verschränkt, blieb sie dort stehen, sah in den grauen, feuchten, leicht gespenstischen Morgen hinaus. Aber sie sah nichts, sie suchte nach Worten, um mir etwas zu sagen. Sie trug ein blaues Kleid und weiße Schuhe, und plötzlich hätte ich sie gern geküßt.
»Laß uns die Dinge zurechtrücken«, sagte sie schließ lich, mir noch immer den Rücken zuwendend. »Du kannst mir nichts verbieten, nicht einmal im Scherz, aus dem einfachen Grund, weil du nichts mit mir zu tun hast. Du bist nicht mein Mann, du bist nicht mein Bräutigam, du bist nicht mein Geliebter. Dieses Spielchen, uns an den Händen zu halten, uns im Kino zu küssen, das ist nichts Ernstes, und vor allem gibt es dir keinerlei Rechte über mich. Das mußt du dir klarmachen, Söhnchen.« »Jetzt sprichst du tatsächlich, als wärest du meine Mutter«, sagte ich.
»Ich könnte deine Mutter sein«, sagte Tante Julia, und ihr Gesicht wurde traurig. Es war, als wäre ihr Zorn verflogen und statt dessen wäre nur noch eine alte Verstimmung, ein tiefer Kummer geblieben. Sie drehte sich um, machte ein paar Schritte auf den Schreibtisch zu und blieb sehr nah bei mir stehen. Sie sah mich voller Kummer an: »Du machst, daß ich mich alt fühle, ohne daß ich es bin, Varguitas. Das mag ich nicht. Unsere Geschichte hat keinen Sinn und schon gar keine Zukunft.« Ich faßte sie um die Taille, und sie ließ sich gegen mich gleiten, doch während ich sie voller Zärtlichkeit auf die Wange, auf den Hals, auf das Ohr küßte – ihre warme Haut
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