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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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waren, was ich hätte, ob ich die Nase in irgendetwas hineingesteckt hätte, was mich nichts angehe, und ob man mir eine Lektion erteilt habe? Zum Glück begann Tante Olga von den Hörspielen zu sprechen, und das verschaffte mir eine Atempause. Während sie erzählte, daß Pedro Camacho manchmal etwas zu weit gehe und alle ihre Freundinnen die Geschichte des Zeugen Jehovas zu stark fänden, der sich mit einem Brieföffner vor den Augen des Richters verstümmelte, um zu beweisen, daß er das Mädchen nicht vergewaltigt habe, wechselte ich schweigend von Wut zu Verzweiflung und von Verzweiflung zu Wut. Warum hatte mir Tante Julia kein Wort über den Arzt gesagt? In diesen letzten zehn Tagen hatten wir uns mehrere Male gesehen, und nicht ein einziges Mal hatte sie ihn erwähnt. Stimmte, was Tante Olga sagte, daß sie sich schließlich doch für jemanden »interessierte«? Im Colectivo auf dem Weg zurück zu Radio Panamericana schlug meine Stimmung von Niedergeschlagenheit in Stolz um. Unsere Liebes geschichte hatte lange gedauert, jeden Augenblick konnte die Familie draufkommen, das würde Spott und Skandal bedeuten. Außerdem, was verlor ich meine Zeit mit einer Dame, die, wie sie selbst sagte, beinahe meine Mutter sein könnte? Als Erfahrung reichte es. Das Erscheinen von Osores war schicksalhaft. Es enthob mich der Aufgabe, mir die Bolivianerin vom Hals zu schaffen. Ich fühlte mich rastlos, verspürte ungewohnte Anwand lungen, wie mich zu betrinken oder irgendwen zu schlagen, und im Sender hatte ich eine Auseinandersetzung mit Pascual, der seiner Veranlagung getreu die Hälfte der 3-Uhr-Nachrichten einem Brand in Hamburg widmete, bei dem ein Dutzend türkischer Gastarbeiter verkohlt waren. Ich sagte ihm, in Zukunft sei es verboten, ohne meine Erlaubnis irgendeine Meldung über Tote zu bringen, und einen Studienkollegen, der mich anrief, um mich daran zu erinnern, daß es die Fakultät auch noch gebe und daß mich am nächsten Tag eine Prüfung in Prozeßrecht erwarte, fertigte ich unfreundlich ab. Kaum hatte ich aufgelegt, klingelte das Telephon noch einmal. Es war Tante Julia:
    »Ich hab dich wegen eines Endokrinologen versetzt, Varguitas. Ich nehme an, du hast mich vermißt«, sagte sie, frisch wie ein Salatblatt. »Bist du böse?«
    »Böse, warum?« antwortete ich. »Du kannst doch tun, was du willst.«
    »Ah, also doch böse«, hörte ich sie sagen, schon etwas ernster. »Sei nicht dumm, wann sehen wir uns, damit ich dir alles erklären kann?«
    »Heute kann ich nicht«, antwortete ich trocken. »Ich ruf dich an.«
    Ich legte auf, wütender über mich selbst als über sie, und kam mir lächerlich vor. Pascual und der Große Pablito sahen mich belustigt an, und der Katastrophenliebhaber rächte sich auf delikate Weise für meine Zurechtweisung:
    »Donnerwetter, dieser Don Mario ist ja recht streng mit den Damen.«
    »Das machen Sie richtig so«, unterstützte mich der Große Pablito. »Nichts gefällt ihnen so sehr, als wenn man sie an die Kandare nimmt.«
    Ich wünschte meine beiden Redakteure zum Teufel, bereitete die 4-Uhr-Nachrichten vor und ging zu Pedro Camacho. Er war gerade bei einer Aufnahme, und ich wartete in seiner Bude und blätterte nachlässig in seinen Papieren herum, ohne zu verstehen, was ich las, denn ich fragte mich nur immer wieder, ob das Telephongespräch mit Tante Julia unseren Bruch bedeutete. In Sekunden schnelle wechselte ich von tödlichem Haß dazu über, mich mit ganzer Seele nach ihr zu sehnen. »Begleiten Sie mich, ich muß Gift kaufen«, sagte finster Pedro Camacho schon in der Tür und schwang seine Löwenmähne. »Wir haben dann noch Zeit genug für unseren Trunk.« Während wir auf der Suche nach Gift durch die Querstraßen des Jirén de la Union gingen, erzählte mir der Künstler, daß die Mäuseplage in der Pension La Tapada unerträgliche Ausmaße angenommen habe.
    »Wenn sie sich damit zufriedengäben, unter meinem Bett herumzulaufen, würde mir das gar nichts ausmachen; es sind keine Kinder; gegen Tiere habe ich nichts einzuwenden«, erklärte er, während er mit seiner gewaltigen Nase an gelben Pulvern schnupperte, die, so sagte der Drogist, eine Kuh töten würden. »Aber diese Schnurrbärtigen fressen meine Lebensmittel auf. Jede Nacht knabbern sie an meinen Vorräten, die ich ins Fenster hänge, damit sie frisch bleiben. Das geht nicht so weiter, ich muß sie ausrotten.«
    Mit Argumenten, die den Drogisten verblüfften, handelte er den Preis herunter, bezahlte, ließ

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