Tante Julia und der Kunstschreiber
Rattenfänger schimpften, und während es in ihm dunkel wurde, kam plötzlich grau, klein, unverschämt, aus einem unsichtbaren kleinen Loch in der Ecke des Eßzimmers ein Grautier mit weißen Nagezähnen und betrachtete den Gefallenen mit einem spöttischen Glitzern in den lebhaften Augen … War Don Federico Téllez Unzâtegui, der unermüdliche Henker der Nagetiere von Peru, gestorben? War ein Vatermord, ein Gattenmord vollzogen worden? Oder war dieser Ehemann und Vater, der mitten in einer unsäglichen Unordnung unter dem Eßzimmertisch lag, während seine Angehörigen mit ihren rasch eingepackten Habseligkeiten frohlockend ihr Heim verließen, nur betäubt? Wie würde dieses Unglück von Barranco enden?
IX
Der Reinfall mit der Erzählung über Doroteo Martf machte mich für einige Tage mutlos. Aber an dem Morgen, an dem ich hörte, wie Pascual dem Großen Pablito seine Entdeckung vom Flughafen erzählte, spürte ich, daß meine Berufung wieder auferstand, und plante sofort eine neue Erzählung. Pascual hatte ein paar streunende Burschen dabei überrascht, wie sie einen riskanten und aufregenden Sport ausübten. Sie legten sich, wenn es dunkel wurde, an das äußerste Ende der Startbahn auf dem Flughafen von Lima-Tambo, und Pascual schwor, daß der dort liegende Bursche jedesmal, wenn ein Flugzeug abflog, durch den Druck der verdrängten Luft ein paar Zentimeter in die Höhe gehoben wurde, wie bei einem Zauberkunststück in der Schwebe blieb und ein paar Sekunden später, sobald der Effekt vorüber war, auf den Boden zurückfiel. Ich hatte in diesen Tagen einen mexikanischen Film gesehen (erst Jahre später erfuhr ich, daß er von Bunuel war und wer Bunuel war), der mich fasziniert hatte: »Die Vergessenen«. Ich beschloß, eine Erzählung in dem selben Geist zu schreiben, einen Bericht von Kind-Männern, von jungen Wölfen, die durch die rauhen Bedingungen des Lebens in den Vorstadtslums hart geworden waren. Javier zeigte sich skeptisch und versicherte mir, die Geschichte stimme nicht, der Druck der von den Flugzeugen verdrängten Luft würde nicht einmal ein Neugeborenes in die Luft heben. Wir diskutierten, und ich sagte schließlich, in meiner Erzählung würden die Personen zwar schweben, es werde aber trotzdem eine realistische Erzählung (»nein, eine phantastische«, schrie er), und schließlich vereinbarten wir, an einem Abend mit Pascual zu den Feldern von Côrpac zu gehen, um nachzuprüfen, was an diesen gefährlichen Spielen (das war der Titel, den ich für die Erzählung gewählt hatte) Wahrheit und was Lüge war.
An diesem Tag hatte ich mich nicht mit Tante Julia getroffen, hoffte aber, sie am nächsten, am Donnerstag, bei Onkel Lucho zu sehen. Als ich jedoch mittags zum gewohnten Essen im Haus in der Calle Armendâriz erschien, war sie nicht da. Tante Olga erzählte mir, sie sei von einer »guten Partie« zum Essen eingeladen worden, von Dr. Guillermo Osores, einem Arzt, der mit der Familie irgendwie in Beziehung stand, ein präsentabler Fünfziger mit etwas Geld, der vor nicht allzu langer Zeit verwitwet war.
»Eine gute Partie«, wiederholte Tante Olga und zwinkerte mir zu. »Ernsthaft, reich, gutaussehend und nur zwei Söhne, die schon erwachsen sind. Ist das nicht der Mann, den meine Schwester braucht?«
»In den letzten Wochen hat sie ihre Zeit nur vertan«, meinte Onkel Lucho, auch er sehr zufrieden. »Sie wollte mit niemandem ausgehen, lebte wie eine alte Jungfer, aber der Endokrinologe scheint ihr zu gefallen.«
Ich spürte, wie die Eifersucht mir den Appetit verschlug, eine entsetzlich schlechte Stimmung überkam mich. Es schien mir, als ob Onkel und Tante aus meiner Verlegenheit errieten, was mit mir geschah. Ich brauchte nicht nach Einzelheiten über Tante Julia und Dr. Osores zu fragen, sie sprachen von nichts anderem. Der Arzt hatte sie vor etwa zehn Tagen auf einem Cocktail der bolivianischen Botschaft kennengelernt, und nachdem er erfahren hatte, wo sie wohnte, war er gekommen, um sie zu besuchen. Er hatte ihr Blumen geschickt, sie angerufen, sie zum Tee ins Bolivar eingeladen und jetzt zum Mittagessen in den Club de la Union. Der Endokrinologe hatte Onkel Lucho gegenüber gescherzt: »Deine Schwagerin ist Klasse, Luis, vielleicht ist sie die Kandidatin, die ich suche, gegen die ich zum zweitenmal zur Heirat antrete.«
Ich versuchte Gleichgültigkeit vorzutäuschen, aber es gelang mir nicht besonders gut, und Onkel Lucho fragte mich, als wir einen Augenblick allein
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