Tante Julia und der Kunstschreiber
Menschen (nur mit den Augen?) alle körperlichen Intimitäten seiner Töchter durchstöbert hatten.
Er ging zur Tat über. Er ließ die Zeitschrift fallen, um freier zu sein, packte mit der linken Hand die Uniformjacke von Laura und zog sie ein paar Zentimeter zu sich, um sie besser zu postieren, hob die rechte Hand hoch genug, um die Schlagkraft maximal zu gestalten, und lud sie mit seinem ganzen Groll. Darauf – o außerordentlicher Tag – erfuhr er die zweite, vielleicht noch gewaltigere Überraschung als die des obszönen Titelbildes. Statt die weiche Wange von Laurita traf seine Hand ins Leere, und lächerlich, frustriert sackte sie herab. Das war noch nicht alles. Das Schlimme kam danach. Die Kleine gab sich nicht damit zufrieden, nur der Ohrfeige auszuweichen –das hatte, so erinnerte sich Don Federico in seinem gewaltigen Schmerz, noch niemals ein Mitglied der Familie getan –, sondern sie warf sich, nachdem sie zurückgewichen war, das vierzehnjährige Gesichtchen in einer haßerfüllten Grimasse verzerrt, auf ihn – ihn, ihn – und begann mit den Fäusten auf ihn einzuschlagen, ihn zu kratzen, ihn zu stoßen und zu treten. Er hatte das Gefühl, sein eigenes Blut höre vor lauter Überraschung auf zu fließen. Es war, als sprängen die Sterne plötzlich aus ihren Bahnen, stürzten sich übereinander, stießen zusammen, zerbrächen, rollten hysterisch durchs All. Er konnte nicht reagieren, er wich zurück, die Augen weit aufgerissen, die Kleine hinter ihm her, die, um sich Mut zu machen, sich anzufeuern, nicht nur auf ihn einschlug, sondern jetzt auch schrie: »Verdammter Kerl, gemeines Schwein, ich hasse dich, du sollst sterben, krepier doch endlich!« Er glaubte verrückt zu werden, als er sah – alles geschah so schnell, daß er die veränderte Situation kaum aufnehmen konnte –, daß Teresa auf ihn zulief, die Schwester jedoch nicht zurückhielt, sondern ihr half. Jetzt griff ihn auch seine älteste Tochter an und schnaubte abscheuliche Beleidigungen – Geizhals, Dummkopf, Irrer, ekelerregender Kerl, Tyrann, Wahn sinniger, Rattenfänger –, und die beiden wütenden jungen Mädchen drängten ihn gegen die Wand. Nachdem er endlich aus seiner lähmenden Überraschung herausgekom men war, begann er sich zu verteidigen und versuchte, sein Gesicht zu schützen; da spürte er im Rücken einen Stich. Er drehte sich um: Dona Zoila hatte sich aufgerichtet und biß ihn.
Sein Staunen wurde noch größer, als er bemerkte, daß mit seiner Frau, noch deutlicher als mit seinen Töchtern, eine Wandlung vor sich gegangen war. War Dona Zoila, die Frau, die niemals eine Klage geflüstert hatte, niemals die Stimme erhoben, niemals schlechter Laune gewesen war, das gleiche Wesen, das nun mit unbändigen Augen und wilden Händen Faustschläge auf ihn niedersausen ließ, das ihn anspuckte, ihm das Hemd zerriß und wildgeworden schrie: »Schlagen wir ihn tot, rächen wir uns, soll er an seinem Wahn ersticken, reißt ihm die Augen aus!«? Die drei heulten auf, und Don Federico glaubte, das Geschrei lasse ihm die Trommelfelle platzen. Er verteidigte sich mit aller Kraft und versuchte, die Schläge zu erwidern. Aber es gelang ihm nicht, denn sie – wandten sie eine niederträchtig geübte Praxis an? – wechselten sich ab, zwei hielten ihm immer die Arme fest, während die Dritte ihn zerfetzte. Er spürte Brennen, Schwellungen, Stiche, sah Sterne, und plötzlich entdeckte er an den befleckten Händen der Angreiferinnen, daß er blutete.
Als er auf der Treppe Ricardo und Federico jun. erscheinen sah, machte er sich keine Illusionen. In wenigen Sekunden zum Skeptiker geworden, wußte er, daß sie sich den Angreifern zugesellen würden, um ihm den letzten Fußtritt zu versetzen. Voller Schrecken, ohne Würde oder Ehrgefühl, dachte er nur noch daran, die Tür zur Straße zu erreichen, zu fliehen. Aber das war nicht so einfach. Zwei oder drei Sprünge gelangen ihm, dann stürzte er über ein gestelltes Bein schwer auf den Boden. Dort lag er nun zusammengerollt, um seine Männlichkeit zu schützen, und sah, wie seine Erben mit wilden Fußtritten gegen seinen Körper vorgingen, während seine Frau und seine Töchter sich mit Besen und Schrubbern und dem Schürhaken vom Kamin bewaffneten, um ihn weiter zu verprügeln. Bevor er sich sagte, daß er überhaupt nichts begriff, außer daß die Welt absurd geworden war, hörte er noch, daß auch seine Söhne ihn im Takt ihrer Fußtritte Wahnsinniger, Geizhals, dreckiger Kerl und
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