Tante Julia und der Kunstschreiber
ein Gespräch zu führen oder sich daran zu erinnern, daß jemand neben ihm ging. Ich war sicher, daß er mich gar nicht sah. Ich versuchte seinen Monolog auszudehnen, denn es schien, als könne man seine Phantasie einmal in voller Aktion sehen. Aber er verstummte so brüsk, wie er begonnen hatte, von dem unsichtbaren Flenner zu sprechen. Ich sah, wie er sich wieder in seinen Raum begab, das schwarze Jackett auszog und das Krawattenband abnahm, sich die Haare mit einem Netz zusammenband und eine Damenperücke mit Knoten aufsetzte, die er aus einer anderen Plastiktüte hervorholte. Ich konnte nicht an mich halten und brach in Gelächter aus. »Wen habe ich die Ehre vor mir zu sehen?« fragte ich noch immer lachend. »Ich muß einem frankophilen Laboranten, der sein Kind umgebracht hat, noch einige Ratschläge erteilen«, erklärte er mit spöttischem Unterton und legte statt des biblischen Barts von vorhin ein paar bunte Ohrringe an und klebte sich einen koketten Leberfleck ins Gesicht. »Auf Wiedersehen, lieber Freund.«
Kaum hatte ich mich umgedreht, um zu gehen, hörte ich das Geklapper der Remington wieder aufleben, gleich mäßig, zuversichtlich, zwanghaft, ewig. Im Colectivo nach Miraflores dachte ich über das Leben von Pedro Camacho nach. Welche soziale Schicht, welche Verkettung von Personen, Beziehungen, Problemen, Zufällen, Fakten hatten diese literarische Berufung hervorgebracht (literarische? Aber was war sie sonst?), die es geschafft hatte, sich zu verwirklichen, sich in einem Werk zu kristallisieren und eine Zuhörerschaft zu gewinnen? Wie war es möglich, daß man einerseits die Parodie eines Schriftstellers sein konnte und andererseits der einzige in Peru, der diesen Namen aufgrund der seinem Beruf gewidmeten Zeit und seines Werkes verdiente? Waren diese Politiker, diese Anwälte, diese Pädagogen vielleicht Schriftsteller, die sich den Titel Dichter, Romancier, Dramaturg anmaßten, weil sie in kurzen Pausen ihres Lebens, das zu vier Fünfteln anderen, der Literatur fremden Tätigkeiten gewidmet war, ein Bändchen mit Versen oder eine geizige Sammlung von Erzählungen produziert hatten? Warum sollten jene Personen, die sich der Literatur als Dekoration oder als Vorwand bedienten, mehr Schriftsteller sein als Pedro Camacho, der ausschließlich lebte, um zu schreiben? Weil sie Proust, Faulkner, Joyce gelesen hatten (oder doch wenigstens wußten, daß sie sie gelesen haben sollten) und Pedro Camacho beinahe ein Analphabet war? Wenn ich darüber nachdachte, fühlte ich mich traurig und elend. Es wurde mir immer klarer, daß ich nichts anderes im Leben sein wollte als Schriftsteller, und ich war immer mehr davon überzeugt, daß ich mich mit Leib und Seele der Literatur verschreiben mußte, um einer zu sein. Auf keinen Fall wollte ich ein Schmalspur schriftsteller werden, sondern ein echter. Wie wer? Der einzige, den ich kannte, der diesem Vollberufsschriftsteller am nächsten kam, der leidenschaftlich besessen war von seinem Beruf, war der Hörspielserienschreiber aus Bolivien. Darum faszinierte er mich so sehr.
Im Haus der Großeltern wartete Javier glückstrahlend mit einem Sonntagsprogramm auf mich, das Tote aufwecken konnte. Er hatte den Monatswechsel, den ihm seine Eltern aus Piura schickten, mit einer guten Zulage für die Nationalfeiertage erhalten und beschlossen, diese Extra-Sol zu viert zu verjubeln.
»Dir zu Ehren habe ich ein intellektuelles und kosmopolitisches Programm zusammengestellt«, sagte er und schlug mir aufmunternd auf die Schulter. »Argentinische Truppe von Francisco Pétrone, deutsches Essen im Rincôn Toni und französischer Ausklang des Festes im Negro-Negro, Bolero-Tänzen im Dunkeln.«
So wie in meinem kurzen Leben Pedro Camacho bislang meinem Idealbild von einem Schriftsteller am nächsten kam, war Javier unter meinen Bekannten derjenige, der einem Renaissance-Fürsten in seiner Großzügigkeit und Ausschweifung am meisten ähnelte. Außerdem war er noch tüchtig: Tante Julia und Nancy waren bereits unterrichtet, und die Eintrittskarten für das Theater hatte er schon in der Tasche. Das Programm konnte nicht verführerischer sein, und alle meine düsteren Gedanken über den Beruf und das Bettlerdasein eines Schriftstellers in Peru verflogen mit einem Schlag. Auch Javier war sehr zufrieden: seit einem Monat ging er mit Nancy, und diese Beständigkeit nahm den Charakter einer formellen Romanze an. Daß er meiner Cousine meine Geschichte mit Tante Julia erzählt hatte, war
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