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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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verächtlichen Ausdrücken wie »Abgestillte« und »Krepierlinge« zu betiteln. Diese Feindseligkeit wurde an dem Tag, an dem die Blondine wieder schwanger wurde, zur Qual. Das Paar – Absätze, die die Angst zu Propellern macht – beeilte sich, bei Frau Dr. Acémila Zuspruch und Weisheit zu erbitten. Die hörte sie ohne zu erschrecken an:
    »Sie leiden an Infantilismus und sind gleichzeitig ein potentiell rückfälliger Kindermörder«, stellte sie im Telegrammstil fest. »Zwei Dummheiten, die keinerlei Aufmerksamkeit verdienen, die ich so leicht heilen werde, wie ich ausspucke. Keine Angst: Sie sind gesund, bevor dem Fötus Augen wachsen.« Wird sie ihn kurieren? Wird Lucho Abril Marroqum sich von diesen Gespenstern befreien können? Wird die Behandlung gegen die Infantophobie und den Herodismus so abenteuerlich werden, wie die, die ihn von dem Räder-Komplex und der fixen Idee des Verbrechens befreit hat? Wie wird das Psycho-Drama von San Miguel ausgehen?
     

 
    XI
     
    Die Halbjahresexamen der Fakultät rückten immer näher, und da ich seit meiner Liebesgeschichte mit Tante Julia immer weniger in die Vorlesungen ging, immer mehr (pyrrhische) Erzählungen schrieb, war ich sehr schlecht auf diesen Augenblick vorbereitet. Ein Student aus Camanâ, Guillermo Velando, war meine Rettung. Er lebte in einer Pension im Zentrum in der Nähe der Plaza Dos de Mayo und war ein vorbildlicher Student, der keine einzige Vorlesung schwänzte und sogar das Luftholen der Professoren mitschrieb und der die Artikel der Gesetzbücher auswendig lernte, wie ich Verse. Er sprach unentwegt von seinem Heimatort, wo er eine Braut hatte, und brannte nur darauf, seine Examen zu machen, um Lima, eine Stadt, die er haßte, zu verlassen und sich in seinem Heimatort Camanâ als Anwalt niederzulassen, wo er dem Fortschritt eine Lanze brechen wollte. Er lieh mir seine Notizen, sagte mir während der Examen vor, und wenn diese bevorstanden, ging ich zu ihm in die Pension, um mir eine wundertätige Zusammenfassung dessen geben zu lassen, was sie in den Seminaren gemacht hatten.
    Von dort kam ich an jenem Sonntag, nachdem ich drei Stunden in Guillermos Zimmer verbracht hatte. In meinem Kopf schwirrten die Gesetzesformeln, und ich hatte Angst vor all den Latinismen, die ich auswendig lernen mußte. Von der Plaza San Martin aus sah ich von weitem in der bleigrauen Fassade von Radio Central das Fensterchen von Pedro Camachos Raum offenstehen. Natürlich beschloß ich hinzugehen und ihm guten Tag zu sagen. Je öfter ich ihn sah – auch wenn unser Verhältnis zueinander nur aus kurzen Gesprächen am Kaffeehaustisch bestand –, desto größer wurde der Zauber, den seine Persönlichkeit, sein Aussehen, seine Rhetorik auf mich ausübten. Während ich über den Platz auf sein Büro zuging, dachte ich wieder über diese eiserne Willenskraft nach, die dem kleinen asketischen Mann die Arbeitskapazität gab, diese Fähigkeit, morgens und abends, abends und nachts, aufwühlende Geschichten zu erfinden. Zu jeder Tageszeit, wann immer ich an ihn dachte, wußte ich: Jetzt schreibt er, und sah ihn, wie ich ihn so oft gesehen hatte, mit zwei Fingern hastig auf die Tasten der Remington schlagen, mit seinen entrückten Augen auf die Walze blicken, und verspürte eine seltsame Mischung aus Neid und Nachsicht. Das Fenster der Kammer war halb offen, man konnte das rhythmische Klappern der Maschine hören, und ich stieß es ganz auf mit dem Gruß: »Guten Tag, Herr Vielarbeiter.« Aber ich hatte den Eindruck, mich im Ort und in der Person geirrt zu haben, und erst nach mehreren Sekunden erkannte ich den bolivianischen Schreiber in der Verkleidung, die aus einem weißen Kittel, einer Arztkappe und einem großen schwarzen Rabbinerbart bestand. Leicht über den Schreibtisch gebeugt, schrieb er, ohne mich anzusehen, ungerührt weiter. Nach einem Augenblick, als wolle er eine Pause zwischen zwei Gedanken machen, hörte ich ihn, ohne daß er mir den Kopf zuwandte, mit seiner Stimme von vollkommenem, einschmeichelndem Timbre sagen:
    »Der Gynäkologe Alberto Quinteros entbindet seine Nichte von Drillingen, und einer der Knirpse hat sich quergelegt. Können Sie fünf Minuten warten? Ich mache einen Kaiserschnitt bei dem Mädchen, und dann gehen wir einen Kamillentee mit Pfefferminz trinken.«
    Während ich im Fenster sitzend eine Zigarette rauchte, wartete ich darauf, daß er die querliegenden Drillinge zur Welt bringe, eine Operation, für die er tatsächlich nicht länger

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