Tante Julia und der Kunstschreiber
als fünf Minuten benötigte. Als er sich danach die Verkleidung abnahm, sie sorgfältig zusammenfaltete und zusammen mit dem patriarchalischen Bart in einer Plastiktüte verstaute, sagte ich: »Für eine Drillingsgeburt mit Kaiserschnitt und allem brauchen Sie nur fünf Minuten, Sie Glücklicher. Ich habe drei Wochen gebraucht für eine Erzählung über drei Burschen, die durch den Luftdruck der Flugzeuge in die Höhe gehoben werden.“ Während wir ins Bransa gingen, erzählte ich ihm, daß ich nach vielen gescheiterten Erzählungen die von den schwebenden Burschen gut fand und sie vor Furcht zitternd zur Sonntags-Beilage von »El Comercio« gebracht hatte. Der Chefredakteur hatte sie in meinem Dabeisein gelesen und mir eine mysteriöse Antwort gegeben: »Laß sie hier, wir werden sehen, was wir damit anfangen können.« Seitdem waren zwei Sonntage vergangen, an denen ich morgens an die Zeitungsstände gestürmt war, und bis jetzt war nichts. Aber Pedro Camacho verlor keine Zeit mit fremden Problemen:
»Verzichten wir auf Erfrischung, und gehen wir lieber ein bißchen«, sagte er und nahm mich beim Arm, als ich mich gerade setzen wollte, und wir kehrten in Richtung Colmena zurück. »Ich habe ein Kribbeln in der Wade, als bekäme ich einen Krampf. Das kommt vom vielen Sitzen. Ich brauche Bewegung.«
Nur weil ich wußte, was er mir antworten würde, riet ich ihm, es so zu machen wie Victor Hugo und Hemingway, nämlich im Stehen zu schreiben. Aber dieses Mal hatte ich mich geirrt. »In der Pension La Tapada geschehen merkwürdige Dinge«, sagte er, ohne mir zu antworten, während er mich beinahe im Trab um das Denkmal von San Martin herumführte. »Da weint ein junger Mann, wenn der Mond scheint.« Sonntags kam ich nur selten ins Zentrum und war überrascht, wie anders die Leute in der Woche aussahen als jene, die ich jetzt sah. Statt der Büromädchen aus der Mittelschicht waren auf dem Platz lauter Dienstmädchen, die ihren freien Tag hatten, Leute vom Lande mit geröteten Wangen und groben Schuhen, barfüßige Mädchen mit Zöpfen, und unter der buntgescheckten Menge sah ich herumgehende Fotografen und Marktfrauen. Ich zwang den Schreiber vor der Dame mit Tunika stehenzubleiben, die in der Mitte des Denkmals die Patria darstellt, und um zu sehen, ob ich ihn zum Lachen bringen könnte, erzählte ich ihm, warum sie das extravagante araukanische Gebilde auf ihrem Kopf trug: »Als die Handwerker hier in Lima die Bronze gössen, verwechselten sie die Angaben des Bildhauers: ›Votiv flamme‹ (Llama) mit dem Tier (Llama).« Natürlich lächelte er nicht einmal, nahm wieder meinen Arm, und während er mich weiterzog und die Passanten anrempelte, nahm er unberührt von allem, was ihn umgab, angefangen bei mir, seinen Monolog wieder auf:
»Man hat sein Gesicht nie gesehen, aber man darf wohl annehmen, daß er eine Art Monster ist, vielleicht der uneheliche Sohn der Pensionswirtin, der unter Mißbildungen, Buckel, Zwergwuchs, Zweiköpfigkeit leidet und den Dona Atanasia tagsüber versteckt, um uns nicht zu erschrecken, und nur nachts an die frische Luft läßt.«
Er sprach ohne die geringste Gemütsbewegung wie ein Tonbandgerät, und ich erwiderte, um ihn zum Sprechen zu bringen, daß mir seine Hypothese reichlich übertrieben vorkomme. Könnte es sich nicht um einen jungen Mann handeln, der aus Liebeskummer weint?
»Wenn es ein Verliebter wäre, hätte er eine Gitarre, eine Geige, oder er würde singen«, sagte er und sah mich dabei mit von Nachsicht gemilderter Verachtung an. »Dieser weint nur.«
Ich bemühte mich, ihn dazu zu bringen, mir alles von Anfang an zu erklären, aber er war zerstreuter und zurückhaltender als gewöhnlich. Ich brachte nur heraus, daß jemand seit vielen Nächten in einem Winkel der Pension weinte und daß sich die Bewohner von La Tapada beschwerten. Die Wirtin, Dona Ata-nasia, behauptete, keine Ahnung zu haben, und benutzte, wie der Schreiber sagte, »das Alibi mit den Geistern«. »Es ist auch möglich, daß er wegen eines Verbrechens weint«, spekulierte Pedro Camacho im Tonfall eines Buchhalters, der laut rechnet, und führte mich, immer eingehakt, zu Radio Central zurück, nachdem wir etwa zehnmal um das Denkmal herumgelaufen waren. »Ein Familienverbrechen? Ein Vatermörder, der sich aus Reue die Haare rauft und sich geißelt? Ein Sohn von dem da mit den Ratten?«
Er war nicht im geringsten erregt, aber ich fand ihn geistesabwesender als sonst, noch weniger imstande, zuzuhören,
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