Tante Julia und der Kunstschreiber
für ihn äußerst nützlich gewesen, denn unter dem Vorwand, uns als Kuppler zu dienen und uns das gemeinsame Ausgehen zu erleichtern, hatte er erreicht, daß er Nancy mehrmals in der Woche sehen konnte. Meine Cousine und Tante Julia waren jetzt unzertrennlich. Sie gingen zusammen einkaufen, ins Kino und tauschten Geheimnisse aus. Meine Cousine war zu einer überschwenglich guten Fee für unsere Romanze geworden. Eines Tages machte sie mir mit folgender Äußerung Mut: »Tante Julia hat eine Art, sich zu geben, die jeden Altersunterschied verwischt, lieber Cousin.« Das großartige Programm dieses Sonntags (an dem, glaube ich, die Entscheidung über einen Großteil meiner Zukunft fiel) begann unter den allerbesten Vorzeichen. Im Lima der 5oer Jahre gab es wenig Gelegenheiten, wirklich gutes Theater zu sehen.
Die argentinische Theatertruppe von Francisco Pétrone brachte eine Reihe moderner Werke mit, die man in Peru noch nicht gezeigt Hatte. Nancy holte Tante Julia bei Tante Olga ab, und beide kamen im Taxi ins Zentrum. Javier und ich warteten am Eingang des Teatro Segura auf sie. Javier, der bei solchen Dingen zu übertreiben pflegte, hatte eine Loge gemietet, die einzige, die besetzt war, so daß wir zum optischen Anziehungspunkt wurden, fast so gut sichtbar wie die Bühne. Mit meinem schlechten Gewissen unterstellte ich, daß die verschiedensten Verwandten und Bekannten uns sähen und über uns klatschten. Aber kaum hatte die Vorstellung begonnen, verflogen alle Ängste. Man spielte »Tod eines Handlungsreisenden« von Arthur Miller, und es war für mich das erste Theaterstück, das sich über die Konventionen von Zeit und Raum hinwegsetzte. Meine Begeisterung und Erregung war so groß, daß ich in der Pause mit Händen und Füßen redete und feurige Lobpreisungen auf das Werk von mir gab, die Personen, die Technik, die Ideen lobte, und später, als wir im Rincön Toni an der Colmena Würstchen aßen und dunkles Bier tranken, fuhr ich so hingerissen damit fort, daß Javier mich nachher tadelte: »Du warst wie ein Papagei, dem man ein Aufputschmittel gegeben hat.« Meine Cousine Nancy, die meine literarischen Anwandlungen immer für eine Art spieen hielt, wie den von Onkel Eduardo – ein uralter Bruder meines Großvaters, ein pensionierter Richter, der sich dem ungewöhnlichen Zeitvertreib des Spinnensam-melns widmete –, vermutete, nachdem ich mich in dieser Weise über das Stück ausgelassen hatte, das wir gerade gesehen hatten, meine Neigung könne ein böses Ende nehmen: »Du wirst uns noch überschnappen, mein Lieber.«
Javier hatte das Negro-Negro ausgewählt, um den Abend angenehm zu beenden, denn es hatte ein gewisses intellektuelles Flair – donnerstags gab es kleine Vorstellun gen: Einakter, Monologe, Lesungen; und Maler, Musiker und Schriftsteller pflegten dort einzukehren –, aber auch, weil es die dunkelste Boîte von Lima war, ein Keller in den Arkaden der Plaza San Martin mit nicht mehr als zwanzig Tischen und einer Dekoration, die wir für »existentialis tisch« hielten. Es war ein Ort, der mir die wenigen Male, die ich dort war, die Illusion vermittelte, in einem Keller von Saint Germain des Prés zu sitzen. Wir setzten uns an ein Tischchen neben der Tanzfläche, und Javier, freigiebiger denn je, bestellte vier Whiskies. Er und Nancy standen sofort auf und tanzten, und ich sprach in dem engen und überfüllten Lokal mit Tante Julia noch immer über Theater und über Arthur Miller. Wir saßen ganz eng zusammen, die Hände ineinander verschränkt; sie hörte mir entsagungsvoll zu, und ich erzählte, ich hätte in dieser Nacht das Theater entdeckt; es könne etwas so Komplexes und Tiefgründiges sein wie der Roman, vielleicht war es sogar etwas viel Größeres, weil es etwas Lebendiges war, bei dessen Verwirklichung Wesen von Fleisch und Blut und auch die anderen Künste, Malerei, Musik etcetera mitwirkten.
»Vielleicht wechsle ich die Gattung und schreibe Dramen statt Erzählungen«, sagte ich äußerst erregt. »Wozu rätst du mir?«
»Was mich angeht, ich habe nichts dagegen«, antwortete Tante Julia und stand auf. »Aber jetzt, Varguitas, tanz mit mir und flüstere mir was ins Ohr. Zwischen den Tänzen erlaube ich dir, wenn du willst, über Literatur zu sprechen.« Ich befolgte ihre Anweisungen wörtlich. Wir tanzten sehr eng, küßten uns dabei, und ich sagte ihr, daß ich sie sehr liebe, und sie, daß sie mich sehr liebe, und das war das erste Mal, daß ich, angeregt von der intimen,
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