Tante Julia und der Kunstschreiber
hielt ihn zurück:
»Niemand außer meinen großen Dänen leckt mir die Hände. Schluß jetzt mit den Gefühlsduseleien! Sie können gehen, es warten neue Freunde. Die Rechnung erhaltea Sie bei Gelegenheit.“
»Tatsächlich, ich bin geheilt«, wiederholte der Arzneimittelvertreter glücklich. In der letzten Woche hatte er täglich sieben Stunden geschlafen, und statt der Albträume hatte er sehr schöne Träume gehabt, in denen er sich an exotischen Stranden von einer fußballrunden Sonne bräunen ließ und den Schildkröten zusah, die zwischen den lanzenförmigen Palmen träge herumwanderten, und den schelmischen Kopulationen der Delphine in den blauen Wellen. Diesmal – Vorbedacht und Witz des gebrannten Mannes – nahm er wieder ein Taxi zu den Arzneiwerken, und während der Fahrt weinte er, als er merkte, daß der einzige Effekt, den dieses Durchs-Leben-Rollen hatte, nicht tödlicher Schrecken, nicht kosmische Angst, sondern nur eine leichte Übelkeit war. Er lief und küßte die amazonischen Hände von Don Federico Telles Unzâtegui und nannte ihn »mein Retter und Berater, mein neuer Vater«, Gesten und Worte, die sein Chef mit dem Entgegenkommen hinnahm, das jeder Herr, der etwas auf sich hält, seinen Sklaven schuldig ist. Er wies ihn jedoch darauf hin – Kalvinist mit einem Herzen ohne Türen für das Gefühl –, daß er, von Mordkomplexen geheilt oder nicht, unter Androhung einer Geldstrafe pünktlich bei der »Nagetier-Vernichtungs-AG« zu erscheinen habe.
Und so kam es, daß Lucho Abril Marroquin aus dem Tunnel herauskam, der seit jenem staubigen Unfall in Pisco sein Leben gewesen war. Nun kam alles wieder in Ordnung. Die süße Tochter Frankreichs, dank der elterlichen Pflege von ihren Leiden befreit und von normannischer Diät aus gelöchertem Käse und schleimigen Schnecken gestärkt, kehrte mit prächtigen Wangen und dem Herzen voller Liebe in das Land der Inkas zurück. Das Wiedersehen des Ehepaares war wie lange Flitterwochen – verzückte Küsse, konvulsive Umarmungen und andere gefühlvolle Übertreibungen, die das verliebte Ehepaar an den Rand der Anämie brachten. Der Arzneimittelvertreter –Schlange, die nach dem Hautwechsel ihre Kraft verdoppelt –erhielt bald den bevorzugten Platz, den er in der Firma innegehabt hatte, wieder zurück. Auf seinen eigenen Wunsch, da er sich beweisen wollte, daß er derselbe sei wie früher, vertraute ihm Dr. Schwalb wieder die Aufgabe an, per Luft, über Land, Fluß und Meer alle Dörfer und Städte Perus zu besuchen und bei Ärzten und Apothekern die Produkte von Bayer zu propagieren. Dank der Begabung seiner Gattin für Sparsamkeit konnte das Paar sehr rasch alle während der Krise gemachten Schulden vergessen und auf Raten einen neuen Volkswagen kaufen, der selbstverständlich wieder gelb war. Nichts, so schien es (aber lautet die volkstümliche Weisheit nicht, »daß der Schein trügt«?), verdunkelte den Rahmen, in dem sich das Leben der Abril Marroquin abspielte. Der Vertreter erinnerte sich nur selten an den Unfall, und wenn es geschah, fühlte er nicht mehr Bedrängnis, sondern Stolz, den er – Kleinbürger, der die sozialen Formen respektiert – nicht nach außen dringen ließ. Aber in der Vertraulichkeit seines Heims – Nest der Turteltauben, Kamin, der zum Geigenklang von Vivaldi brennt – hatte etwas – Licht, das im Weltall überdauert, wenn der Stern, der es ausstrahlt, längst verloschen ist, Nägel und Haare, die den Toten wachsen – von der Therapie der Professorin Acémila überlebt. Auf der einen Seite blieb eine für das Alter von Lucho Abril Marroquin übertriebene Neigung, mit Kreiseln, Eisenbahnen und Soldaten zu spielen. Die Wohnung füllte sich langsam mit Spielzeug, was die Nachbarn und Dienstboten verwirrte und die ersten Schatten auf die eheliche Harmonie warf, denn die kleine Französin begann, sich eines Tages darüber zu beschweren, daß ihr Mann die Sonn- und Feiertage damit verbrachte, Papierschiffchen in der Badewanne schwimmen oder auf dem Dach Drachen steigen zu lassen. Aber viel schlimmer als diese Neigung und recht besehen ein Feind derselben war die Phobie gegen Kinder, die aus der Zeit seiner »praktischen Übungen« im Geist Lucho Abril Marroquîns überlebt hatte. Es war ihm unmöglich, auf der Straße, im Park, auf einem öffentlichen Platz an einem von ihnen vorbeizugehen, ohne ihm das, was der Volksmund eine Grausamkeit nennt, zu verpassen, und in den Gesprächen mit seiner Gattin pflegte er sie mit
Weitere Kostenlose Bücher