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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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vor seinem Schreibtische. Vielleicht zum ersten Male in seinem Leben rollten zwei Tränen aus seinen Augen.
    »Armer guter Onkel Fischer!« heulte Tante Lisbeth und hielt sich das Schnupftuch vor die Augen.
    Adeline kniete vor dem Marschall nieder:
    »Lieber Schwager, bleibe für mich am Leben! Hilf mir bei meinem Werke! Ich will Hektor wieder dem Leben versöhnen. Er soll seine Verfehlungen wiedergutmachen.«
    »Der!« entgegnete der Marschall verächtlich. »Wenn er weiterlebt, wird er weitere Schandtaten begehen. Wer eine Adeline verkennt, wer innerlich so wenig ein wahrer Republikaner ist wie er, ohne Liebe zur Heimat, zur Familie, zu den Menschen: der ist eine Mißgeburt, ein böses Tier! Wenn du iha immer noch liebst, dann führe ihn fort, denn mir schreit innerlich eine Stimme zu: »Nimm eine deiner Pistolen, und schieß ihn über den Haufen! Wenn du ihn tötest, rettest du euch alle und den da vor sich selber!««
    Der alte Herr stand in fürchterlicher Erregung auf. Die arme Adeline schrie:
    »Hektor, komm!«
    Sie packte ihren Mann am Arm und riß ihn hinaus. So verließen sie das Haus. Der Baron war so verstört, daß sie ihn richtig in den Wagen setzen mußte. Zu Hause angekommen, legte er sich nieder. Er war buchstäblich zerschlagen. Mehrere Tage verblieb er im Bett, verweigerte alle Nahrung und sprach kein Wort. Erst durch viele Tränen erreichte es Adeline, daß er Fleischbrühe zu sich nahm. Die Baronin pflegte ihn, wachte an seinem Lager und empfand über alle andern Regungen hinaus nichts als tiefstes Mitleid.
    Halb ein Uhr führte Lisbeth den Notar und den Grafen Steinbock in das Arbeitszimmer des Marschalls.
    »Ich bitte Sie, Graf«, sagte der Marschall zu Steinbock, »meiner Nichte, Ihrer Frau, die nötige Vollmacht zu unterzeichnen, eine Rente verkaufen zu dürfen, die sie nur nominell ohne Nutznießung besitzt. – Lisbeth, du gibst als Nutznießerin die Einwilligung zu diesem Verkauf!«
    »Gewiß, lieber Graf«, antwortete Lisbeth ohne Zaudern.
    »Das ist recht, meine Verehrteste!« sagte der alte Mann. »Hoffentlich lebe ich noch lange genug, um dich belohnen zu können. Ich habe nie an dir gezweifelt. Du bist eine echte Republikanerin, ein Kind des Volkes.«
    Er nahm die Hand der alten Jungfer und drückte einen Kuß darauf.
    »Herr Hannequin«, sagte er dann zu dem Notar, »stellen Sie, bitte, die Vollmacht aus! Ich brauche sie sofort, um die Rente verkaufen zu können. Meine Nichte hat den Rentenbrief. Sie wird die Urkunde unterschreiben, ebenso Fräulein Fischer hier. Auch Graf Steinbock hier wird Ihnen seine Unterschrift geben.«
    Auf einen Wink Lisbeths verabschiedete sich Steinbock sehr bald ehrerbietig vom Marschall und ging.
    Am andern Vormittag ließ sich der Graf von Pforzheim um zehn Uhr beim Fürsten von Weißenburg melden. Er wurde sofort vorgelassen.
    »Na, siehst du, lieber Hulot!« redete ihn der Kriegsminister an und reichte seinem alten Kameraden die Zeitungen. »Der Schein ist gewahrt! Lies hier!«
    Der Graf legte die Zeitungen auf den Schreibtisch und übergab dem Fürsten zweihunderttausend Francs.
    »Hier ist das durch meinen Bruder dem Staat Entwendete wieder!«
    »Dummes Zeug!« rief der Fürst und nahm das Hörrohr des Grafen, das er ihm hingehalten hatte. »Es ist uns ganz unmöglich, die Summe irgendwie zu buchen. Wir wären damit gezwungen, deines Bruders Machenschaften einzugestehen, nachdem wir alles getan haben, sie zu verdecken.«
    »Tu damit, was du willst! Ich dulde im Vermögen meiner Familie keinen Groschen, der aus dem Staatssäckel gestohlen ist!« erklärte Graf Hulot.
    »Ich werde die Entscheidung Seiner Majestät anrufen. Sprechen wir vorläufig nicht mehr von der Angelegenheit.«
    Der Minister erkannte die Unmöglichkeit, den stolzen Sinn des alten Herrn umzustimmen.
    »Leb wohl, Collin!« sagte Hulot, indem er des Fürsten Rechte erfaßte. »Das Herz friert mir.«
    Der Fürst war tief erschüttert. Er fiel dem alten Freunde um den Hals.
    »Es will mir scheinen«, sprach er, »als ob ich nicht bloß dir, sondern der Großen Armee Lebewohl sage! So leb denn wohl, mein lieber alter Kamerad!«
    In diesem Moment trat Claude Vignon ein. Die beiden Zeugen der Kaiserzeit verbeugten sich zeremoniell voreinander. Keine Spur von innerer Erregung war ihnen noch anzumerken.
    »Durchlaucht werden mit den Presseberichten zufrieden sein«, sagte der Sekretär. »Ich habe es so gemacht, daß die oppositionellen Blätter der Meinung sind, sie verrieten unsere

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