Tante Lisbeth (German Edition)
Herr, der vor Schwäche den Wagen nicht verlassen könne, bäte sie, einen Augenblick herunterzukommen.
»Josepha, ich bin es!«
Die Künstlerin erkannte ihn an der Stimme.
»Was, du, mein lieber Graukopf? Weiß der Teufel, du siehst aus, als ob du auf dem letzten Loche pfiffest!«
»Ja, ja«, erwiderte Hulot, »ich komme aus den Armen des Sensenmannes! Aber du, du bist schön wie immer! Wirst du auch ebenso gut sein?«
»Das hängt ganz von dir ab! Gut sein ist etwas Relatives.«
»Höre mich an!« fuhr Hulot fort. »Kannst du mich für ein paar Tage in einer Domestikenstube, oben unter dem Dache, beherbergen? Ich habe kein Geld, keine Hoffnung, kein täglich Brot, keine Pension, keine Frau, keine Kinder, kein Heim, keine Ehre, keinen Mut! Und schlimmer noch: man will mich wegen einer Wechselschuld einsperren!«
»Armer Alter! Es ist ein bißchen viel, was dir fehlt. Gott sei Dank hast du wenigstens noch Hosen an!«
»Du lachst mich aus! So bin ich verloren! Ich habe auf dich gerechnet wie Courville auf Ninon!«
»Sage mir, mein Freund«, fragte Josepha, »man hat mir erzählt, du wärst einer Dame der Gesellschaft wegen so auf den Hund gekommen. Ist das so? Diese Schwindlerinnen verstehen es besser als wir, einem Karnickel das Fell über die Ohren zu ziehen! Du siehst ja gottserbärmlich aus. Und spindeldürr bist du geworden!«
»Josepha, mach es kurz!«
»Komm herein, alter Junge! Ich bin allein, und meine Leute kennen dich nicht. Schicke den Wagen fort! Ist er bezahlt?«
»Ja«, sagte der Baron, und Josepha stützte ihn.
»Wenn es dir recht ist, sollst du als mein Vater gelten!« erklärte die Sängerin. Ihr Mitleid war erwacht. Sie führte den Baron in den Salon, in dem er sie dereinst zum letzten Male gesehen hatte.
»Ist es wirklich wahr, Alterchen«, begann sie von neuem, »daß du am Tode deines Bruders und eines Onkels von dir schuld bist? Daß du deine Familie ruiniert, deine Kinder in Schulden gestürzt und afrikanische Staatsgelder mit einer Prinzessin durchgebracht hast?«
Der Baron nickte trübselig.
»Siehst du, so gefällst du mir!« rief Josepha begeistert aus. »Das ist wirklich ein Zusammenbruch! Das heißt: ein Teufelsleben geführt! Das ist etwas Großartiges, etwas Ganzes! Du bist eine Canaille, aber du hast Mumm in den Knochen! Mit ist einer, der alles verjuchheit und für die Weiber Gott weiß was tut, tausendmal lieber als so eine kalte Hundeschnauze von Bankier, der für einen anständigen Kerl gelten will, obgleich er im Grunde durch sein Metier Tausende von Menschen und Familien ruiniert! Leidenschaft! Leidenschaft, das ist wahre Liebe!«
Hulot nahm diese Absolution einer schönen Sünderin selbstgefällig an. Von neuem lächelten ihm Luxus und Laster zu. Die Größe seines Verbrechens kam ihm selber wie ein mildernder Umstand vor.
»War denn deine Dame der Gesellschaft wenigstens hübsch?« forschte Josepha weiter. Sie wollte ihn zerstreuen. Sein Elend ging ihr wirklich zu Herzen.
»Auf Ehre, bald so hübsch wie du!« gab er pfiffig zur Antwort.
»Und fidel auch, wie ich gehört habe. War sie lustiger als ich?«
»Lassen wir sie, Josepha!«
»Man sagt, jetzt halte sie meinen dicken Crevel an Rosenketten, dazu das Steinböckchen und einen Prachtkerl von Brasilianer?«
»Das ist wohl möglich!«
»Crevel soll ihr ein Haus so schön wie dieses geschenkt haben. Eigentlich eine Gemeinheit! Der Racker richtet die zugrunde, mit denen ich angefangen habe. Deswegen, lieber Freund, bin ich ja so furchtbar neugierig zu wissen, wie sie aussieht. Einmal habe ich sie im Bois in ihrem Wagen gesehen, aber nur von weitem. Man hat mir gesagt, sie sei eine gerissene Gaunerin. Sie gibt sich Mühe, Crevel kaputt zu machen. Das wird ihr kaum gelingen. Crevel ist ein ganz Schlauer! Der alte Fuchs sagt zu allem ja, und dann macht er doch, was ihm sein eigner Dickkopf vorschreibt. Eitel ist er und verliebt. Aber in Geldsachen eiskalt. Zwei-, dreitausend Francs im Monat, mehr gibt einem die Sorte nicht. Vor jeder wirklichen Verschwendung aber stoppt der Kerl wie ein Rekrut vor einer Hürde. Da bist du ein anderer Kerl, mein Junge! Du hast Passion im Leibe! Ich glaube, man könnte dich dazu bringen, dein Vaterland zu verraten. Und deshalb bin ich bereit, alles für dich zu tun. Du bist mein Vater. Du hast mir einst das Leben erschlossen. Das ist mir heilig. Was brauchst du? Willst du zweihunderttausend Francs? Ich werde alles aufbieten, sie dir zu schaffen. Dir Wohnung und Nahrung zu
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