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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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erscheinen in höchstem Grade untunlich. Im übrigen hat er gute und treue Dienste geleistet. Nach der Beresina hat er durch die Erneuerung der Armeeverwaltung enorm genutzt.
    Soll die Untersuchung weitergehen? Oder soll sie – nachdem der Hauptschuldige tot ist – niedergeschlagen werden? Der Proviantamtsvorstand könnte in contumaciam verurteilt werden.
    Die Staatsanwaltschaft ist damit einverstanden, daß Ihnen die Akten unterbreitet werden. Da der Baron in Paris wohnt, wären die dortigen Gerichte zuständig. Wir haben diesen ziemlich problematischen Ausweg gewählt, um die Angelegenheit zu translozieren.
    Lieber Fürst, entschließen Sie sich sofort! Man munkelt bereits viel zuviel von der bedauerlichen Affäre. Sie würde uns beträchtlich schädigen, wenn der wirklich Schuldige zufällig oder durch einen Prozeß bekannt würde. Vorläufig ist er nur der Staatsanwaltschaft und dem Untersuchungsrichter bekannt...«
    Der Graf sah ein, daß es unnötig sei, die Akten weiter zu lesen. Er entnahm ihnen nur noch den Brief Fischers, überflog ihn und reichte ihn dann seinem Bruder. Er lautete:
    »Gefängnis zu Oran.
    Lieber Neffe!
    Wenn Du diesen Brief liest, bin ich nicht mehr am Leben. Sei ruhig! Man wird bei mir keine Beweise gegen Dich finden. Wenn ich tot bin, ist es mit dem Prozeß zu Ende, da dieser Schuft, der Chardin, flüchtig ist. Der Gedanke an Adeline, die Du so glücklich gemacht hast, erleichtert mir den Tod. Du brauchst mir die zweihunderttausend Francs nicht mehr zu schicken.
    Lebe wohl!
    Der Brief wird Dir durch einen entlassenen Gefangenen überbracht werden. Ich glaube, er ist zuverlässig.
    Hans Fischer.«
     
    »Durchlaucht, ich bitte Sie um Verzeihung!« sagte der Marschall Hulot in demütigem Stolze zum Fürsten.
    »Ach was, Hulot, wir duzen uns weiter!« rief dieser aus und drückte seinem alten Freunde die Hand. Und zu dem Baron gewandt, sagte er mit einem vernichtenden Blicke:
    »Der arme Ulan hat nur sich selber getötet!«
    »Wieviel hast du genommen?« fragte der Graf seinen Bruder.
    »Zweihunderttausend Francs!«
    Der Graf wandte sich an den Fürsten:
    »Lieber Freund, in achtundvierzig Stunden hast du die zweihunderttausend Francs! Niemand soll je sagen dürfen, daß ein Hulot den Staat auch nur um einen Heller benachteiligt habe!«
    »Unsinn!« bemerkte der Fürst. »Ich weiß, wo die zweihunderttausend Francs stecken, und lasse sie zurückerstatten. Baron, reichen Sie Ihr Entlassungsgesuch ein und bitten Sie um Pensionierung! Ihr Prozeß wäre eine Schmach für uns alle! Deshalb habe ich mir vom Ministerrat die Vollmacht erteilen lassen, nach Gutdünken verfahren zu dürfen. Da Sie ein Leben ohne Ehre und ohne meine Achtung hinnehmen, ein würdeloses Dasein, so sollen Sie die gesetzliche Pension erhalten. Nur machen Sie, daß Sie schnell in Vergessenheit versinken!«
    Der Fürst klingelte. Der Kanzleidiener erschien.
    »Den Kanzleidirektor Marneffe!«
    »Zu Befehl, Durchlaucht!«
    Als Marneffe zur Stelle war, sagte der Fürst zu ihm:
    »Sie und Ihre Frau haben den Baron von Ervy da mit Wissen und Willen zugrunde gerichtet!«
    »Durchlaucht verzeihen«, erwiderte Marneffe, »ich bin lediglich auf mein Gehalt angewiesen und habe zwei Kinder, von denen das jüngste durch den Herrn Baron in meine Familie gekommen ist.«
    »So ein Galgengesicht!« bemerkte der Fürst zum Grafen, indem er mit der Hand auf Marneffe wies. »Keine faulen Ausreden! Sie zahlen zweihunderttausend Francs zurück, oder ich schicke Sie nach Algier!«
    »Durchlaucht kennen meine Frau nicht! Sie hat alles verbraucht. Der Herr Baron lud uns Tag für Tag sechs Personen zu Tisch ein. Mein Haushalt kostet mich im Jahr fünfzigtausend Francs.«
    »Machen Sie, daß Sie hinauskommen!« herrschte ihn der Fürst mit seiner Kommandostimme von ehedem an. »Sie werden Ihre Versetzung in zwei Stunden mitgeteilt bekommen. Gehen Sie!«
    »Ich ziehe es vor, meine Entlassung einzureichen«, widersprach Marneffe frech. »Das lasse ich mir nicht gefallen! Ich nicht!«
    Damit ging er.
    »Ein unverschämter Schurke!« sagte der Fürst.
    Der Marschall Hulot hatte während dieses Auftritts unbeweglich und leichenblaß dagestanden, seinen Bruder beobachtend. Jetzt faßte er des Fürsten Hand und wiederholte ihm:
    »In achtundvierzig Stunden ist der materielle Schaden wiedergutgemacht. Die Ehre freilich ... Auf Wiedersehen, Fürst! Das ist die letzte Wunde, die Todeswunde! Ja, daran sterbe ich!« fügte er leise hinzu.
    »Zum Donnerwetter,

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