Tante Lisbeth (German Edition)
Geheimnisse.«
»Leider ist alles vergebens!« entgegnete der Fürst, indem er dem das Nebenzimmer durchschreitenden Marschall nachblickte.
»Eben habe ich ein Lebewohl auf Nimmerwiedersehen gesagt, das mir sehr tief geht. Marschall Hulot lebt keine drei Tage mehr. Das habe ich übrigens gleich gestern gesehen. Er war ein Ritter ohne Furcht und Tadel. Die Kugeln haben diesen Tapferen einst verschont. Und nun habe ich ihm den Todesstoß geben müssen .... Läuten Sie, bitte! Befehlen Sie meinen Wagen! Ich will nach Neuilly zu Majestät.«
Er steckte die zweihunderttausend Francs in sein Ministerportefeuille.
Trotz Tante Lisbeths Pflege war der Marschall Hulot nach drei Tagen tot. Männer wie er sind die Zierde ihrer Partei. Der Marschall war für die Republikaner das Vorbild eines Patrioten gewesen. Deshalb erschienen sie alle zu seinem Leichenbegängnis. Ungeheuer viel Menschen folgten dem Sarge. Vertreter der Armee, der Regierung, des Hofes, alle Welt erwies dem Helden die letzte Ehre, dem Ehrenmanne, dessen Ruhmesschild keinen Flecken aufwies. Selbst der royalistische Adel war gekommen.
Der Tod des alten Mannes, der vier Tage vor Lisbeths letztem Aufgebot erfolgt war, schlug ihr, um ein Bild zu gebrauchen, wie der Blitz in die volle Scheune und vernichtete ihr die bereits unter Dach und Fach gebrachte Ernte. Die Lothringerin hatte ihre Pläne nur allzu gut durchgeführt. Der Marschall war das Opfer der Machenschaften geworden, die sie und Frau Marneffe gegen die Familie Hulot ins Werk setzten. Der Haß der alten Jungfer, der bereits befriedigt schien, wuchs nun um die Größe ihrer getäuschten Hoffnung. Sie lief zu Valerie und weinte bei ihr vor Wut. Da der Marschall seinen Mietvertrag auf Lebenszeit abgeschlossen hatte, war sie nun heimatlos geworden.
Um die Freundin seiner Valerie zu trösten, nahm Crevel die Ersparnisse Lisbeths, verdoppelte sie freigebig und legte das Kapital zu fünf Prozent an. Es ward auf Celestines Namen eingetragen, während die Nutznießung Lisbeth zukam. Dadurch war ihr eine Leibrente von zweitausend Francs im Jahre gesichert. Im Nachlasse des Marschalls fand sich ein an seine Schwägerin, seine Nichte Hortense und seinen Neffen Viktor gerichtetes Schreiben mit der Bitte: an diejenige, die seine Frau hatte werden sollen, an Tante Lisbeth, eine Rente von zwölfhundert Francs zu zahlen.
Adeline gelang es, ihrem zwischen Leben und Tod schwebenden Manne das Hinscheiden seines Bruders mehrere Tage zu verheimlichen. Aber Lisbeth kam in Trauerkleidern, und so wurde ihm die verhängnisvolle Wahrheit am Tage nach dem Begräbnis verraten. Dieser schwere Schlag gab dem Kranken seine Willenskraft zurück. Er stand auf, abgemagert wie ein Gespenst und nur noch ein Schatten seines früheren Ichs.
»Wir müssen zu einem Entschluß kommen!« sagte er mit gebrochener Stimme zu seiner im Salon zu einer Beratung versammelten Familie – nur Crevel und Steinbock fehlten – und sank in einen der Lehnstühle.
»Hier können wir nicht wohnen bleiben!« erklärte Hortense gerade in dem Augenblick, wo ihr Vater eintrat. »Die Miete ist zu hoch.«
»Was die Wohnungsfrage anbelangt«, meinte Viktor und brach damit das inzwischen eingetretene peinliche Schweigen, »so biete ich meiner Mutter an ...«
Als der Baron diese Worte vernahm, die ihn auszuschließen schienen, hob er sein zu Boden geneigtes Haupt – er hatte auf das Muster des Teppichs gestarrt, ohne die Seinen anzusehen und warf einen jammervollen Blick auf seinen Sohn. Viktor hatte die Empfindung, daß eines Vaters Rechte selbst in Schande und Schmach bestehen blieben. Er hielt inne.
»Deiner Mutter!« wiederholte Hulot. »Du hast recht, mein Sohn!«
Cölestine vollendete den Satz ihres Mannes:
»Ja, die eine Wohnung über uns!«
»Ich bin wohl im Wege, Kinder?« fragte der Baron mit der Demut eines Menschen, der sich selbst aufgegeben hat. »Seid unbesorgt! Ihr sollt euch nicht mehr über euern Vater zu beklagen haben! Ihr werdet ihn nur noch wiedersehen, wenn ihr euch seiner Anwesenheit nicht mehr zu schämen braucht!«
Er umarmte Hortense und küßte sie auf die Stirn, dann warf er sich verzweiflungsvoll seinem Sohne in die Arme. Auch Lisbeth küßte er auf die Stirn.
Viktor ahnte seines Vaters Gedanken, aber er blieb regungslos. Nur Adeline folgte dem in sein Zimmer gehenden Baron.
»Mein Bruder hatte recht, liebe Adeline«, sagte er, indem er die Hand seiner Frau erfaßte. »Ich bin meiner Familie unwürdig! Ich habe meine Kinder
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