Tante Lisbeth (German Edition)
gemeine Frauenzimmer den Doktor Bianchon holen lassen, um festzustellen, ob sich der Hausarzt nicht irre, der am Tage vorher erklärt hatte, Mameffes Zustand sei hoffnungslos: Bianchon hat ihr gesagt, ihr Schweinekerl von Mann werde im Laufe des Tages seine Höllenfahrt antreten. Dein Vater, liebe Cölestine, war bei der Konsultation zugegen und hat dem Arzt für die gute Nachricht ein Honorar von hundert Francs in die Hand gedrückt. Als Bianchon fort war, hat Papa Crevel im Salon Cancan getanzt, seine Liebste umarmt und ausgerufen: >Valerie, nun bist du endlich Frau Crevel!< Und zu mir hat dein honetter Vater gesagt: >Tantchen, wenn Valerie meine Frau ist, werde ich noch Pair von Frankreich! Ich werde mir ein Landgut kaufen; ich habe schon eins in Aussicht, das Gut Prestes, das die jetzige Besitzerin, Frau von Serizy, verkaufen will. Dann heiße ich Cölestin Crevel von Prestes. Ich werde Mitglied des Bezirksausschusses und Abgeordneter meines Kreises. Dann bekomme ich einen Sohn und besitze endlich alles, was ich mir gewünscht habe!< – >Schön!< habe ich ihm darauf entgegnet, >und Cölestine?< – >Cölestine! Sie ist weniger eine Crevel als eine Hulot! Valerie kann die Sippe nicht ausstehen. Mein Schwiegersohn ist nicht ein einziges Mal hierhergekommen. Er spielt den Pädagogen, den Spartaner, den Puritaner, den Philanthropen! Überdies habe ich meine Tochter bereits abgefunden. Sie hat das gesamte Vermögen meiner verstorbenen Frau und zweihunderttausend Francs dazu bekommen. Ich kann also tun und lassen, was mir gefällt. Ich will abwarten, wie sich Viktor und Cölestine zu meiner Wiederverheiratung stellen. Danach wird sich mein Verhalten ihnen gegenüber richten. Sind sie nett zu ihrer Stief- und Schwiegermutter, na, dann werden wir ja sehen. Ich bin ein ganzer Kerl!< – Nein, solche Dummheiten! Und dabei stand er da wie Napoleon auf der Vendome-Säule!«
Die vom Code Napoleon vorgeschriebenen zehn Monate Witwenstand waren nunmehr abgelaufen und das Gut Prestes gekauft. Viktor und Cölestine schickten Tante Lisbeth von neuem zu Frau Marneffe, um über die Hochzeit der hübschen Witwe mit dem Bürgermeister Neues auszukundschaften.
Cölestine und Hortense waren durch das Wohnen unter einem Dache einander beträchtlich nähergetreten; sie führten geradezu ein gemeinsames Leben. Während sich die Baronin gänzlich ihrem Barmherzigkeitsfanatismus hingab und beinahe täglich von elf bis fünf Uhr außer dem Hause war, blieben die beiden Schwägerinnen daheim, widmeten sich ihren Kindern oder arbeiteten. Es kam so weit, daß sie beide laut dachten. Es entspann sich die rührende Freundschaft zweier Schwestern, von denen die eine fröhlich und die andere schwermütig war. Aber bei der unglücklichen stand die äußere Erscheinung im Widerspruch mit ihrem inneren Zustand. Hortense war schön, lebhaft und witzig, sie lachte gern und machte einen lebenslustigen Eindruck. Cölestine hingegen war bei allem inneren Glück bedachtsam, still und schwermütig; man hätte meinen können, daß sie von Sorgen bedrückt sei. Vielleicht aber waren gerade die Gegensätze die Grundlagen ihrer innigen Freundschaft; die beiden Frauen ergänzten sich.
Sie saßen in einer Laube des kleinen Gärtchens und freuten sich am Dufte des ersten Flieders. Das ist das Frühlingsfest der unter Steinen lebenden Pariser.
»Cölestine«, sagte Hortense, auf eine Bemerkung ihrer Schwägerin antwortend, die es beklagt hatte, ihren Mann bei dem Prachtwetter im Abgeordnetenhause zu wissen, »ich finde, du würdigst dein Glück nicht genügend. Viktor ist ein herzensguter Mensch, und doch quälst du ihn zuweilen.«
»Die Männer haben es gern, wenn man sie ein bißchen schindet. Gewisse Quälereien sind ein Beweis der Liebe. Wenn deine arme Mutter, ich will nicht sagen: tyrannisch, aber immerhin nahe daran gewesen wäre, dann hättet ihr zweifellos nicht soviel Unglück erlitten!«
»Lisbeth kommt gar nicht wieder«, bemerkte Hortense. »Ich hörte so gern etwas von Stanislaus. Wovon mag er nur leben? Seit zwei Jahren hat er nichts geschaffen.«
»Viktor hat mir erzählt, daß er ihn kürzlich in Begleitung jenes gräßlichen Frauenzimmers gesehen hat. Er vermutet, daß sie ihn unterhält und somit in seiner Tatenlosigkeit bestärkt. Weißt du, wenn du wolltest, könntest du deinen Mann wiederhaben...«
Hortense schüttelte mit dem Kopfe, aber Cölestine fuhr fort:
»Glaube mir, so hältst du es nicht mehr lange aus! In der ersten Zeit
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