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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Kammerjungfer befahl sie: »Melden Sie der Dame, ich sei noch im Bett, ich hätte gestern abend gesungen, stände aber sofort auf! In welches Zimmer hat Johann die Dame geführt?«
    »In den großen Salon!«
    Obgleich die Baronin eine halbe Stunde warten mußte – die Sängerin machte auf das sorgfältigste Toilette –, wurde ihr die Zeit nicht lang. Die kostbare Pracht des Salons machte selbst auf die unglückliche Frau Eindruck. Er repräsentierte den höchsten künstlerischen Luxus der Zeit. Vor allem fesselte sie das Bildnis der Künstlerin, gemalt von Joseph Bridau, das ihr aus dem benachbarten kleineren Salon entgegenleuchtete. Sie vermochte eine gewisse Bewunderung der zauberischen Macht dieses Weibes nicht zu unterdrücken, der es spielend gelungen war, dem Egoismus ihrer Mitmenschen die größten Kostbarkeiten der Welt und Unsummen Goldes zu entlocken.
    Da trat die Sängerin selbst in den Salon. Sie erinnerte Adeline an die Judith von Alessandro Allori im Palazzo Pitti: dieselbe stolze Haltung, dasselbe göttliche Gesicht, dasselbe schwarze kunstlos geknotete Haar. Josepha trug ein gelbes Morgengewand, über und über mit Blumen bestickt. Der Stoff wirkte brokatähnlich, ganz wie der auf dem Bilde des Neffen von Bronzino.
    »Gnädige Frau sehen mich ganz unter dem mich erregenden Eindruck der Ehre Ihres Besuches«, sagte die Künstlerin, die sich vorgenommen hatte, die vornehme Dame zu spielen. Sie schob der Baronin einen Lehnstuhl hin und setzte sich selbst auf einen Sessel. Mit einem einzigen Blick gewahrte sie, daß diese Frau eine Schönheit gewesen war, daß sie gemütskrank und nervös war, daß sie in Frömmigkeit und guten Werken aufging. Nichts lag ihr ferner, als eine Feindin dieser Frau zu bleiben.
    »Mein Fräulein, die Verzweiflung führt mich hierher, die den Menschen zwingt, nichts unversucht zu lassen ...« Adeline hielt inne. Eine leichte Bewegung der Sängerin ließ sie erraten, daß sie der Frau eine Kränkung angetan hatte, von der sie Hilfe erheischte. Unwillkürlich ward ihr Blick flehentlich und löschte ein leidenschaftliches Licht in den Augen Josephas. Es war etwas Seltsames, diese stumme Zwiesprache der beiden Frauen.
    Die Baronin begann mit bewegter Stimme von neuem: »Es ist zwei und ein halbes Jahr her, daß mein Mann seine Familie verlassen hat. Wir wissen noch immer nicht, wo er sich aufhält. Nur daß er in Paris lebt, steht fest. Ein Traum hat mir eingegeben, so seltsam es sein mag, daß Sie Interesse für Hektor von Hulot hegen müßten. Wenn Gott wollte, daß Sie mir helfen könnten, ihn wiederzufinden, würde ich für Sie beten, solange ich lebe!«
    Zwei dicke Tränen entrollten den Augen der Sängerin und verkündeten ihre Antwort im voraus.
    »Gnädige Frau«, erwiderte sie mit dem Ausdruck echter Demut, »ich habe Ihnen Leid zugefügt, ohne Sie zu kennen. Aber nun, da ich die Ehre habe, Sie und Ihre verehrungswürdige Gesinnung vor mir zu sehen – glauben Sie mir! –, fühle ich die Größe meines Vergehens. Ich bereue es von ganzem Herzen. Rechnen Sie damit, daß ich, um es ein wenig wiedergutzumachen, zu allem bereit bin!«
    Sie erfaßte die Hand der Baronin, und ohne daß diese es verhindern konnte, küßte sie sie in tiefster Ergebenheit. Dann raffte sie sich auf und klingelte. Der Kammerdiener erschien.
    »Reiten Sie, was der Gaul laufen kann, nach der Rue Saint-Maur-du-Temple zu Fräulein Bijou. Setzen Sie sie in eine Droschke und geben Sie dem Kutscher ein Trinkgeld, damit er im Galopp herfährt! Beeilen Sie sich!«
    Sie wandte sich wieder der Baronin zu.
    »Sie müssen mir verzeihen! Seit der Herzog von Hérouville mein Gönner geworden, habe ich keine Beziehungen mehr zu Ihrem Gatten. Ich erfuhr, er hätte meinetwegen seine Familie ruiniert. Was sollte ich tun? Eine Bühnenkünstlerin ist auf Unterstützungen angewiesen, zumal im Anfang ihrer Laufbahn. Unsere Gage langt zu nichts. Wir müssen uns hin und wieder reiche Liebhaber zulegen. An der Person des Herrn von Hulot lag mir nichts. Er hat mich bewogen, einen anderen aufzugeben, den reichen Crevel, einen eitlen Trottel, der mich vielleicht geheiratet hätte...«
    »Ich weiß es«, unterbrach die Baronin die Sängerin, »er hat es mir erzählt. Ich will Ihnen ja auch gar keine Vorwürfe machen. Im Gegenteil, ich bin hierhergekommen, wer weiß; um Ihnen vielleicht zu danken ...«
    »Wohl weil ich seit zwei bis drei Jahren für den Unterhalt des Barons sorge? Ach, gnädige Frau ...«
    »Sie!« rief die

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