Tante Lisbeth (German Edition)
vierzehn Jahren war. Ich bin vor Freude deckenhoch gesprungen, als mir das alte Ekel, der Crevel, seinen Antrag machte. Siehst du, Alterchen, da wärst du gleich auf drei Jahre versorgt! Drei Jahre ist gerade so die richtige Zeit. Länger währt eine Illusion nicht.«
Hulot zögerte nicht. Er war entschlossen, das Angebot abzulehnen; aber etwas war in ihm, das ihn davon abhielt, seinen Entschluß klar auszusprechen. Er log sich die Pflicht vor, sich der gutmütigen Sängerin dankbar zeigen zu müssen. So stellte er sich, als schwanke er zwischen Tugend und Sünde.
»Schau, schau!« scherzte Josepha. »Er fängt nicht Feuer! Überlege dir die Sache!« fuhr sie mit leiser Ironie fort. »Bedenke, du kannst hier eine ganze Familie glücklich machen: Urahne, Großmutter, Mutter und Kind! Du gleichst damit das Unglück aus, das du über dein eigenes Haus gebracht hast! Du sühnst somit deine alten Sünden und lebst obendrein vergnügt wie der liebe Gott!«
Hulot machte die Geste des Geldzahlens.
»Darüber mache dir keine Sorgen!« versetzte Josepha. »Mein Herzog wird dir zehntausend Francs pumpen: siebentausend zum Stickereigeschäft für die kleine Bijou und dreitausend für eure Wohnungseinrichtung. Dazu bekommst du hier alle Vierteljahre einen Scheck auf sechshundertfünfzig Francs. Wenn deine Pension wieder frei ist, dann gibst du dem Herzog die siebzehn- oder achtzehntausend Francs zurück. Bis dahin lebst du in friedlichster Weltverlorenheit in einem Nestchen, wo dich kein Polizist aufspüren soll. Du wirst einen Riesenhavelock tragen und aussehen wie ein Spießbürger, der sein gutes Auskommen hat. Wenn es dir Spaß macht, kannst du dich Thoul nennen. Ich werde dich jenen Leuten gegenüber für einen aus Deutschland gekommenen Onkel ausgeben, der dort Pleite gemacht hat. Du wirst verhätschelt werden wie ein Schoßhündchen. Wer weiß, Alterchen, ob es nicht dein Glück ist. Für alle Fälle aber behalte einen deiner schönen Bratenröcke, und wenn du dich einmal langweilen solltest, dann ziehst du ihn an und kommst zum Abendessen hierher zu mir!«
»Ich wollte brav und solid werden! Verschaffe mir zwanzigtausend Francs, und ich gehe nach Amerika! Ich will dort mein Glück versuchen wie mein Freund d'Aiglemont, nachdem Nucingen ihn ruiniert hatte.«
»Du!« rief Josepha laut aus. »Laß doch die Spießerei den französischen Biedermännern, die sogenannte anständige Menschen bloß aus dem Grunde sind, weil es ihnen Ansehen bei den andern verschafft. Du stehst über den Trotteln. Du bist als Mann das, was ich als Weib bin: ein genialer Genießer des Lebens!«
»Kommt Zeit, kommt Rat! Wir wollen die Sache morgen weiter besprechen!«
»Gut! Du wirst heute mit mir und dem Herzog dinieren. Er wird dich so liebenswürdig aufnehmen, als hättest du den Staat gerettet. Und morgen entschließt du dich. Nun wollen wir aber lustig sein, Alterchen! Das Leben ist ein hübsches Kleid. Wenn es beschmutzt wird, macht man es wieder rein. Kriegt es ein Loch, dann bessert man es aus und trägt es, solange es hält!«
Der Schwung dieser Weltanschauung der Sünde fachte die verglimmende Lebenslust Hulots wieder an. Er vergaß seinen Kummer.
Nach einem kräftigen Frühstück sah Hulot am andern Tage eines der lebendigen kleinen Meisterwerke vor sich, wie sie in der Welt einzig nur Paris hervorbringt. Das Pariser Leben ist eine ewige wilde Ehe zwischen Luxus und Elend, Laster und Anstand, unterdrückter Lust und immer neuem Sinnestaumel. Das macht die wunderbare Stadt zur Erbin von Ninive, Babylon und dem Rom der Kaiserzeit.
Fräulein Olympia Bijou war sechzehn Jahre alt. Sie hatte ein Madonnengesicht mit unschuldigen großen schwarzen verträumten Augen, deren leise Trauer von Arbeit und Armut sprach. Alles an ihr war fein und zerbrechlich, fast krankhaft zart. Sie hatte einen süßen roten Mund, prächtige Zähne, hübsche Hände und wunderschönes schwarzes Haar. Sie trug ein billiges Kattunkleid mit einer gestickten Halskrause, hübsche Stiefelchen und Handschuhe. Es war ihr Sonntagsanzug, den sie angezogen hatte, weil sie zu einer großen Dame kam.
Von der Tigertatze der Wollust gepackt, fühlte der Baron, wie ihm seine ganze Lebenskraft in die Augen zusammenströmte. Vor diesem verführerischen Geschöpf vergaß er die ganze Welt.
Josepha flüsterte ihm ins Ohr:
»Ich bürge dir dafür, daß sie noch Jungfrau ist. Unverdorben und halb verhungert. Das ist Paris! So war ich einst auch.«
»Einverstanden!« gab ihr
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