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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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hat dir dein Zorn, deine Entrüstung, deine Verzweiflung Kräfte verliehen. Das namenlose Unglück unserer Familie, die beiden Todesfälle, der finanzielle Ruin, die Flucht deines Vaters, alles das erhöhte die Spannung. Seitdem du aber in Frieden und Stille lebst, muß sich die Leere deines Daseins immer fühlbarer machen. Wenn du eine anständige Frau bleiben willst, mußt du dich mit Stanislaus wieder versöhnen. Mein Mann, der dich sehr lieb hat, ist ganz derselben Meinung. Es gibt etwas Mächtigeres als die Moral: die Natur!«
    »Stanislaus ist gar kein Mann!« sagte Hortense stolz. »Weil sie ihn unterhält, schenkt er ihr seine Liebe. Wahrscheinlich hat sie ihm auch seine Schulden bezahlt. Du mein Gott, ich verstehe das nicht! Er ist der Vater meines Kindes und hält so gar nicht auf seine Ehre!«
    »Du mußt nachsichtiger sein!«
    Cölestine war eine durch und durch vernünftige Frau, ohne Reize, aber auch ohne rührselige Schwächen. Sie gab nicht so leicht nach.
    »Nimm dir ein Beispiel an deiner Mutter!« fuhr sie fort. »Sie wäre überglücklich, wenn ihr Mann, trotz seiner verlorenen Ehre, heimkehrte. Sie hat seine Zimmer instand setzen lassen, als müßte er heute oder morgen wiederkommen.«
    »Ach ja, meine Mutter! Sie hat eine Engelsnatur. Sie ist sich seit sechsundzwanzig Jahren immer gleichgeblieben. Aber ich bin nicht von ihrer Art! Siehst du, manchmal grolle ich mir deshalb selber; aber es ist mir einfach unmöglich, die Ehre nicht über alles zu setzen!«
    »Was hältst du dann aber von meinem Vater?« fragte Cölestine gelassen. »Er ist jetzt offenbar auf demselben Wege, auf dem sich dein Vater verloren hat. Er ist zehn Jahre jünger als der Baron. Und dann ist er Kaufmann. Gewiß! Aber wohin steuert er? Die Marneffe behandelt ihn wie einen dressierten Pudel. Sie verfügt über sein Geld wie über seine Person. Nichts vermag ihm die Augen zu öffnen. Wenn sie die Heirat noch durchsetzt, dann wird es erst recht schlimm werden. Ich habe eine wahre Angst davor ...«
    »Da kommt Tante Lisbeth!« rief Hortense aus. »Nun, Tantchen, was geht in der Hölle der Rue Barbet vor?«
    »Schlimme Nachrichten für euch, meine lieben Kinder! Stanislaus ist mehr denn je im Garne dieses Weibes. Sie muß vernarrt in ihn sein. Und dein Vater, Cölestine, ist total verblendet. Na, überhaupt die Mannsbilder! Richtige Tiere sind das! Ich sage dir! Cölestine, heute in fünf Tagen ist das Vermögen deines Vaters in des Teufels Händen!«
    »So sind sie also aufgeboten?« fragte Cölestine.
    »Jawohl!« gab Lisbeth zur Antwort. »Ich habe die letzte Lanze für Viktor und dich gebrochen. Erfolglos! Ich habe Vater Crevel zu verstehen gegeben: wenn er euch aus der Klemme helfen würde und die Hypothekenlast eures Hauses verringerte, dann wäret ihr bereit, eure Schwieger- und Stiefmutter zu empfangen ...«
    Hortense machte die Gebärde des Entsetzens.
    »Viktor wird schon Rat schaffen!« meinte Cölestine kühl.
    »Soll ich euch sagen, was mir der Herr Bürgermeister erwidert hat?« fuhr Tante Lisbeth fort. »Ihr würdet schon von selber gekrochen kommen! Ein schöner Rabenvater! Der ist noch weniger wert als der Baron Hulot. Also, meine lieben Kinder, schreibt eure Erbschaft in die Esse! Schade um die fetten Milliönchen und das herrliche Landgütchen! Das ist nun alles futsch! Wie ich gehört habe, ist er dabei, seiner geliebten Valerie das Palais Navarreins als Morgengabe zu kaufen... Horch, Hortense, da kommt deine Mutter gefahren!«
    In der Tat war es die Baronin, die im nächsten Augenblick in das Zimmer trat. Sie sah kümmervoll und bleich aus, aber immer noch schön, schlank und geradezu hoheitsvoll. Sie war heute voller Hoffnung, eine Spur Hektors zu finden, ausgefahren. Ein Generalintendant, ein Herr von Verniers, der seine ganze Laufbahn der Gunst des verschollenen Barons verdankte, hatte ihr brieflich mitgeteilt, er habe Hulot in einer Loge des Théâtre de l'Ambigu-Comique in Begleitung eines wunderhübschen Frauenzimmers gesehen. Adeline hatte Verniers sofort aufgesucht, aber nichts weiter erfahren, als daß ihr Mann und seine Begleiterin, offenbar seine Geliebte, vor Schluß der Vorstellung das Theater verlassen hatten und daß er nicht ganz tadellos gekleidet war.
    »Nun?« fragten die drei Frauen die Ankommende.
    »Hektor ist hier in Paris!« erwiderte sie. »Es ist immer ein wenig Glück, daß ich das weiß!«
    »Gebessert scheint er sich also nicht zu haben!« bemerkte Tante Lisbeth, nachdem die

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