Tante Lisbeth (German Edition)
viel geerbt, und auch deine Pension ist frei! Valerie ist gestorben und hat dir dreihunderttausend Francs vermacht. Somit hast du keine Sorgen mehr. Und auch in der Gesellschaft wird man dich überall gern sehen. Komm! Nichts wird unserm Glücke fehlen! Seit drei Jahren suche ich dich, und ich wußte genau, daß ich dich eines Tages finden würde. Ich habe dir sogar deine Zimmer bereitgehalten. Komm mit!«
»Ich möchte schon«, entgegnete der Baron. »Was soll aber aus meiner kleinen Freundin werden?«
»Verzichte auf sie! Bringe mir das Opfer! Ich verspreche dir, für die Kleine genügend zu sorgen. Ich werde sie unterrichten lassen und ihr dann eine Mitgift geben, damit sie einen guten Menschen heiraten kann. Dann wird wenigstens eine von denen glücklich, die dich glücklich gemacht haben!«
»Warte einen Augenblick! Ich will mich oben umziehen. Ich habe anständige Sachen in meinem Koffer.«
Als Adelihe allein war, brach sie angesichts der elenden Umgebung in Tränen aus.
Hier hat er sein Dasein fristen müssen, während wir längst im Überfluß leben! Der Ärmste! Er, der einst der Eleganteste war! Wie schwer ist er gestraft worden!
Der Italiener erschien, um sich der Baronin zu empfehlen.
»Besorgen Sie mir, bitte, eine Droschke!«
Als er mit dem Wagen zurückkam, sagte sie zu ihm:
»Wollen Sie die kleine Judici in Ihre Familie aufnehmen? Sie sollen monatlich hundertzwanzig Francs Kostgeld bekommen. Wenn sich ein anständiger Mann für sie findet, will ich ihr eine Aussteuer und ein paar tausend Taler Mitgift schenken.«
»Mein ältester Junge schwärmt für Itala.«
»Wir werden darüber noch sprechen.«
Der Baron kam die Treppe herunter. Er sah verweint aus.
»Die Kleine will nicht von mir lassen!«
»Sei unbesorgt, Hektor! Ich habe sie bereits bei guten Leuten untergebracht. Es wird sich alles machen.«
»Dann will ich mit dir gehen, Adeline!« sagte er und geleitete seine Frau an den Wagen.
Hektor, jetzt wieder der Baron von Ervy, trug einen Anzug aus blauem Tuch, eine weiße Weste, eine schwarze Krawatte und Handschuhe. Als sich die beiden in den Wagen gesetzt hatten, huschte mit einem Male Itala hinein.
»Ach, gnädige Frau, nehmen Sie mich mit! Ich will artig und folgsam sein und alles tun, was Sie befehlen. Nur trennen Sie mich nicht vom Vater Wieder, meinem Wohltäter, der mir so hübsche Sachen schenkt! Man wird mich schlagen ...«
»Geh, Itala!« unterbrach sie Hulot. »Diese Dame ist meine Frau. Wir müssen uns trennen!«
»Die! Die Alte! Sie zittert ja wie Espenlaub! Und was sie für ein Gesicht schneidet!«
Übermütig machte sie das nervöse Zucken der Baronin nach. Der Italiener, der Itala nachgelaufen war, trat an den Wagenschlag.
»Nehmen Sie sie fort! Ich komme morgen zu Ihnen«, sagte die Baronin.
Der Ofensetzer nahm Itala am Arm und führte sie mit Gewalt ins Haus.
»Ich danke dir für dieses Opfer, Bester!« sagte Adeline, indem sie Hektors Hand zärtlich streichelte. »Wie du dich verändert hast! Was magst du gelitten haben! Viktor und Hortense werden sehr überrascht sein.«
So recht wie eine Liebende, die den Geliebten nach langer Trennung wiedersieht, sprach Adeline von tausend Dingen auf einmal...
In der Rue Louis-le-Grand angelangt, fand die Baronin folgenden Brief vor:
»Verehrte Frau Baronin!
Herr Baron von Ervy hat vier Wochen lang unter dem Namen Thorec – das ist eine Umstellung von Hektor! – in der Rue de Charonne gewohnt. Jetzt ist er in der Passage du Soleil unter dem Namen Wieder zu finden. Er gibt sich für einen Elsässer aus, macht Schreibarbeiten und lebt mit einem jungen Mädchen zusammen namens Itala Judici. Seien Sie vorsichtig, gnädige Frau! Der Baron wird nämlich heftig gesucht! Warum, weiß ich nicht.
Ich habe mein Wort gehalten und verbleibe
Ihre ganz gehorsamste Dienerin
J. M.«
Die Rückkehr des Barons erregte die größte Freude in der ganzen Familie. Er selber fühlte sich bald wieder heimisch und vergaß die kleine Itala. Die Stürme der Leidenschaft hatten ihn schließlich untreu und unbeständig, wie es Kinder sind, gemacht. Auch sonst hatte er sich gewaltig verändert. Verhältnismäßig kräftig war er von den Seinen gegangen, und fast wie ein Hundertjähriger kam er wieder: gebrochen, abgemagert, gebeugt, vernachlässigt.
Cölestine hatte aus dem Stegreif ein Festmahl bereiten lassen.
»Ihr feiert die Rückkehr des verlorenen Vaters!« bemerkte Hulot leise zu seiner Frau.
»Still! Es ist alles vergessen!«
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