Tante Lisbeth (German Edition)
indessen dürfe sie nicht wiederholt werden. Dafür bot er dreißigtausend Francs. Die Künstlerkommission, darunter Stidmann, erklärte in ihrem Gutachten, der Schöpfer der beiden Werke sei fähig, das geplante Standbild zu schaffen. Infolgedessen beschloß der Marschall Fürst von Weißenburg, Kriegsminister und Vorstand des Ausschusses für ein Denkmal des Marschalls Montcornet, die Ausführung Steinbock zu übertragen. Graf Rastignac, damals Unterstaatssekretär, wünschte von ihm ein ganz besonderes Werk. Er erhielt jene köstliche Gruppe der beiden Knaben, die ein kleines Mädchen bekränzen, worauf er ihm ein Atelier im Marmordepot der Regierung in Aussicht stellte.
Das war ein Erfolg, ein echt Pariser Erfolg, das heißt ein Erfolg, der jeden zermalmt, dessen Schultern ihn nicht zu tragen fähig sind, was nebenbei bemerkt häufig vorkommt. Man sprach in den Tageszeitungen und in den Monatsschriften vom Grafen Stanislaus Steinbock, ohne daß er und Lisbeth eine Ahnung davon hatten. Tag für Tag besuchte er die Baronin, während Fräulein Fischer essen ging. Er blieb ein bis zwei Stunden dort, mit Ausnahme des Wochentages, an dem Lisbeth Hulots zu besuchen pflegte. Das ging eine Weile so fort.
Der Baron glaubte an die künstlerischen Fähigkeiten so fest wie an den Grafentitel Steinbocks; die Baronin freute sich über die persönlichen Eigenschaften und die guten Manieren ihres künftigen Schwiegersohnes; Hortense war stolz auf ihre glückliche Liebschaft und den Ruhm des Geliebten; die ganze Familie dachte an die Heirat. Kurz, der Künstler wiegte sich im sonnigsten Glück, als es mit einem Male durch eine Indiskretion von Frau Marneffe arg in Gefahr geriet.
Lisbeth, deren Umgang mit Valerie der Baron Hulot ja besonders gewünscht hatte, um eine Art Brücke in diese Familie zu haben, verkehrte in der Tat alsbald bei den Marneffes. Valerie, der ihrerseits aus Neugier daran lag, eine gewisse Verbindung zur Familie Hulot zu haben, machte der alten Jungfer ordentlich den Hof, in der Absicht, sie sich gänzlich zu ihrem Werkzeug zu machen. Lisbeth, froh, ein Haus mehr als bisher gefunden zu haben, wo sie Mittagsgast sein durfte, fühlte sich stark zu Frau Marneffe hingezogen. Von allen ihren sonstigen Bekannten machte niemand ihretwegen besondere Umstände.
Diese junge Frau, die Freundschaft für sie zu empfinden schien, sie als Beraterin in allem anrief, sie mit Aufmerksamkeiten überschüttete und sich willig von ihr leiten ließ, stand der etwas überspannten Tante Lisbeth binnen kurzem näher als ihre gesamte Verwandtschaft.
Der Baron bewunderte an Frau Marneffe Anstand, Erziehung, Benehmen, dergleichen er weder bei seiner Jenny Cadine noch bei Josepha noch bei ihren Freundinnen gefunden hatte. Nach vier Wochen war er, wie das alten Männern geht, wahnsinnig in sie vernarrt. In der Tat gab es bei ihr keine Witzeleien, keine Orgien, keine unsinnigen Ausgaben, kein Sichhinwegsetzen über soziale Einrichtungen, auch nicht die grenzenlose Ungebundenheit wie bei jenen Künstlerinnen. Alles das hatte ihn ins Unglück gestürzt. Nun war er der Dirnenraublust entronnen, die unersättlich ist wie der Wüstendurst. Ganz anders Valerie. Sobald sie seine Freundin und Vertraute geworden war, sträubte sie sich mit Händen und Füßen, auch nur das Geringste von ihm anzunehmen.
»Es ist nett von dir«, wehrte sie ab, »wenn du uns Avancement und Gratifikation verschaffst, alles, was du von der Regierung erlangen kannst. Aber unterlaß es, die Frau zu entehren, die du liebst, wie du sagst. Andernfalls kann ich nicht mehr an dich glauben ...« Und mit dem Augenaufschlag der heiligen Therese, die sich den Himmel erwerben will, fügte sie hinzu: »Und ich möchte ewig an dich glauben!«
Bei jedem Geschenke hatte der Baron eine Festung zu erstürmen, ein Gewissen zu vergewaltigen. Der arme Kerl mußte Strategenkünste anwenden, um Valerie zur Annahme von Kleinigkeiten zu bewegen, die übrigens meistens kostspielig waren. Er pries sich glücklich, endlich eine tugendhafte Geliebte gefunden zu haben, die Verwirklichung seiner Träume. In ihrem bescheidenen Haushalt kam er sich genauso als Herrgott vor wie in seinem eigenen Hause. Herr Marneffe aber tat, als könnte es ihm gar niemals in den Sinn kommen, daß der Jupiter des Ministeriums in Gestalt des Goldregens zu seiner Ehegattin herniedersteige. Er spielte den getreuen Diener seines erlauchten Chefs.
Valerie Marneffe war dreiundzwanzig Jahre alt, spießbürgerlich,
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