Tante Lisbeth (German Edition)
Wunder was für einem Gehalt... .«
»Woher weißt du denn das alles, wo ich das nicht einmal weiß?« fragte Lisbeth nach einer Weile, wie aus den Wolken gefallen.
»Liebes Tantchen Lisbeth«, antwortete Valerie schelmisch, »sage mir, bist du wirklicher, jede Probe erduldender Freundschaft fähig? Wollen wir wie zwei Schwestern zueinander sein? Willst du mir schwören, niemals mehr Geheimnisse vor mir zu haben, wie ich keine vor dir haben will? Willst du mein Spion sein wie ich der deine? Willst du mir vor allem schwören, daß du mich nie verraten wirst, weder an meinen Mann noch an Hulot, und daß du nie eingestehen wirst, daß ich dir das gesagt habe... .«
Frau Marneffe hielt inne. Tante Lisbeths Aussehen erschreckte sie. Es war zum Fürchten. Ihre schwarzen stechenden Augen waren starr wie Tigeraugen geworden, ihr Gesicht hexenhaft; der ganze Leib zitterte in gräßlichem Krämpfe, und ihr Kopf glühte vulkanartig.
»Was stockst du?« fragte sie tonlos. »Ich will dir alles sein, was ich ihm war. Ach, ich wäre für ihn gestorben!«
»So liebst du ihn also doch?«
»Als ob er mein Kind wäre!«
Frau Marneffe atmete erleichtert auf.
»Na, wenn du ihn so liebst, dann bist du auf dem besten Wege zum Glück. Du willst doch sein Glück?«
Tante Lisbeth antwortete mit einem hastigen Nicken des Kopfes – wie eine Verrückte.
»In vier Wochen heiratet er deine Nichte.«
»Hortense?« rief die alte Jungfer. Sich vor die Stirn schlagend, sprang sie auf.
»Schau, du liebst ihn doch, den jungen Mann!« bemerkte Frau Marneffe.
»Leben und Tod soll dich und mich einen! Was dir lieb und wert ist, soll auch mir heilig sein! Und selbst deine Sünden will ich für Tugenden ansehen; denn ich bedarf vielleicht einmal deiner Sünde!«
»Du hast also mit ihm zusammen gelebt?«
»Nein. Ich wollte seine Mutter sein... .«
»Das geht über mein Verständnis hinaus!« erklärte Valerie. »Wenn das so ist, dann hat er ja weder sein Spiel mit dir getrieben noch dich hintergangen. Dann solltest du aber recht froh sein, ihn gut verheiratet Zu sehen. Damit ist er ein gemachter Mann. Übrigens kannst du gar nichts mehr dagegen machen. Unser Künstler ist tagtäglich im Hause Hulot, während du zu Tische gehst.«
Lisbeth brach in eine Verwünschung gegen Frau von Hulot aus. Valerie unterbrach sie.
»Du siehst totenblaß aus! Da steckt etwas dahinter! Ach, bin ich dumm! Mutter und Tochter müssen eine Ahnung davon haben, daß du der Liebschaft ein Hindernis bist, da sie sie vor dir geheimhalten... . Aber wenn du mit dem jungen Manne nicht zusammengelebt hast, Kleinchen, dann begreife ich das alles nicht. Alles das ist mir dunkler als meines Mannes Herz... .«
»Ach du! Was verstehst denn du von dieser Intrige! Das ist der letzte Schlag, der tödliche! Aus wieviel Wunden blutete mein Herz nicht schon! Du weißt ja nicht, daß ich zeitlebens ein Opferschaf zugunsten von Adeline war! Mich schlug man, wenn man sie verhätschelte! Ich ging wie ein Aschenbrödel, sie wie eine Dame. Ich mußte im Garten graben und das Gemüse zuputzen, während sich ihre zehn Finger damit beschäftigten, Chiffon zu fälteln. Sie heiratete den Baron und ward ein Stern am Hofe des Kaisers, während ich bis 1809 in meinem Dorfe bleiben mußte, vier Jahre lang, und auf einen passenden Freier lauerte. Als sie mich dann zu sich nahmen, war es auch nur, um mich als Arbeitstier zu benutzen. Man präsentierte mir kleine Beamte, die nicht mehr waren als Türschließer! Sechsundzwanzig Jahre lang bekam ich immer, was die andern übrigließen! Und nun, da ich wie der arme Mann im Alten Testament nur ein einziges Schäflein besitze, das all mein Glück war, da kommt der Reiche, der ganze Herden besitzt, neidet dem Armen sein Schäflein und nimmt es ihm! Hinterrücks und ohne ein Wort zu sagen! So stiehlt mir Adeline mein Glück! ... Adeline, Adeline! Ich will dich in der Gosse vor mir liegen sehen! Und Hortense, die ich geliebt, hat mich hintergangen! Und der Baron ... Ach, das ist ja alles gar nicht möglich! Komm, erzähle mir noch einmal, was wahr daran ist!«
»Beruhige dich doch, Kleinchen!« besänftigte Valerie.
»Ja, ja, ich will mich beruhigen. Du bist mein guter Engel, Valerie!« erwiderte das wunderliche alte Mädchen, indem es sich hinsetzte. »Etwas könnte mich sofort vernünftig machen. Schaffe mir einen Beweis!«
»Du weißt doch, deine Nichte Hortense besitzt die Simsongruppe, von der diese Lithographie da in einer Zeitschrift
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