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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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unverdorben und ängstlich: das verborgene Veilchen der Rue du Doyenné. Sie kannte die Verderbtheit und Sittenlosigkeit jener Kurtisanen nicht, die dem Baron jetzt den tiefsten Ekel einflößten. Er hatte den Reiz der Liebschaft mit einer sogenannten anständigen Frau, der sich wehrenden Tugend noch nicht erfahren, und die furchtsame Valerie ließ ihm den Genuß bis auf die Neige kosten.
    Bei der Art Verhältnis war es kein Wunder, daß ihr der Baron eines Tages das Geheimnis von der bevorstehenden Heirat des berühmten Künstlers Steinbock mit Hortense verriet. Zwischen einem Liebhaber ohne Rechte und einer Frau, die sich nur schwer entschließt, die Geliebte eines verheirateten Mannes zu werden, kommt es zu moralischen Erörterungen und Aussprachen, bei denen das Wort oft den Gedanken enthüllt, gleichsam wie die Spitze des Rapiers die Absicht des Gegners. Der Baron machte gelegentlich die Bemerkung, daß er nach der Verheiratung seiner Tochter seine ganze Unabhängigkeit wieder haben werde. Er wollte damit die verliebte Valerie beschwichtigen.
    »Ich begreife nicht«, hatte sie gesagt, »wie man sich eines Mannes wegen, der einem nicht ganz angehört, vergessen kann.«
    Schon tausendmal hatte Hulot geschworen, daß er seit fünfundzwanzig Jahren nichts mehr mit seiner Frau hätte.
    »Sie soll doch eine Schönheit sein«, meinte Valerie ungläubig. »Ich verlange Beweise!«
    »Du sollst welche haben«, sagte der Baron, glücklich über den Wunsch, durch den sich ihm seine geliebte Valerie verriet.
    »Was für welche? Und du darfst mich auch niemals wieder verlassen!« erwiderte sie.
    Damit war der Baron gezwungen, seine Absichten mit der Wohnung in der Rue Vanneau offen zu bekennen: daß er ihr beweisen wollte, ihr die Hälfte des Lebens, die einer rechtmäßigen Gattin zukommt, zu widmen. (Bei dieser Teilung des Lebens sei angenommen, daß Tag und Nacht die Existenz des Kulturmenschen wirklich in zwei gleiche Hälften teilen.) Hulot sprach davon, er wolle seine Frau auf anständige Art und Weise verlassen, sobald seine Tochter verheiratet sei. Die Baronin werde dann abwechselnd bei Hortense und bei den jungen Hulots leben; sie werde sich zweifellos fügen.
    »Von da an, mein Engelchen, wird mein eigentliches Leben, mein wirkliches Heim bei dir in der Rue Vanneau sein!«
    »Mein Gott, wie du über mich verfügst!« sagte Frau Marneffe. »Und mein Mann?«
    »Der Lump!«
    »Zunftbruder von dir, bitte!« lachte sie.
     
    Frau Marneffe hatte rasende Lust, den jungen Grafen Steinbock kennenzulernen, nachdem sie soviel von ihm gehört hatte. Vielleicht wollte sie auch bloß irgendeine kleine Arbeit von ihm ergattern, derweilen sie beide noch unter ein und demselben Dache hausten. Ihr Verlangen mißfiel jedoch dem Baron dermaßen, daß Valerie ihm schwören mußte, Stanislaus keines Blickes mehr zu würdigen. Aber nachdem ihr der Verzicht auf ihren Wunsch durch ein komplettes Teeservice vergolten worden war – Alt-Sèvres, pâte tendre –, blieb ihr Begehren trotzdem im Grunde ihres Herzens aufgeschrieben wie in einem Notizbuch.
    So geschah es eines Tages, daß sie die »liebe Tante Lisbeth« zu sich zum Kaffee lud und das Gespräch auf ihren heimlichen Geliebten brachte. Sie wollte herausbekommen, ob sie ohne Gefahr ihr Ziel erreichen könne.
    »Kleinchen!« fing sie an. (So betitelten sich die beiden übrigens wechselseitig.) »Kleinchen, sag einmal, warum hast du mir eigentlich deinen Schatz noch nicht vorgestellt? Er ist so schnell berühmt geworden.«
    »Er, berühmt?«
    »Freilich! Man spricht von nichts als von ihm.«
    »Unsinn!« lachte Lisbeth.
    »Er hat das Denkmal für meinen Vater übernommen, und ich könnte ihm hierbei nützlich sein, denn selbst Frau Montcornet ist nicht wie ich imstande, ihm eine Miniatur von Sain zur Verfügung zu stellen, ein kleines Meisterwerk, 1809 entstanden, vor Wagram. Meine arme Mutter hat es damals von ihm geschenkt bekommen. Mit einem Wort: ein Bild Montcornets in seiner Jugend und Schönheit!«
    Sain und Augustin waren die beiden Sterne unter den Miniaturmalern der Kaiserzeit.
    »Er hat ein Denkmal übernommen, sagst du, Kleinchen?« fragte Lisbeth.
    »Ein Standbild, neun Fuß hoch; einen Auftrag des Kriegsministeriums. Aber höre mal, wie kommst du mir vor? Mußt du solche Neuigkeiten erst von mir erfahren? Ja, die Regierung wird dem Grafen Steinbock ein Atelier und eine Wohnung in Gros-Caillou, dem Marmordepot, überlassen. Vielleicht wird dein Pole dort noch Direktor mit

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