Tante Lisbeth (German Edition)
allgemeinen nicht. Ich bin nämlich Arbeiter gewesen ...«
»Dann wollen wir hoffen, daß Ihnen das Geld meiner Tochter Glück bringt!« unterbrach ihn die Baronin.
»Und nehmen Sie es ohne peinliche Gefühle!« fügte der Baron hinzu. Er sah, wie der Künstler die Börse immer noch in der Hand hielt, ohne sie einzustecken. »Wer weiß, was uns dermaleinst für dieses Werk geboten werden wird? Es wird uns Wucherzinsen bringen!«
»Aber wir werden es nie hergeben, Vater! Und wenn es ein Fürst kaufen wollte.«
»Ach, gnädiges Fräulein, ich werde Ihnen ein viel besseres Werk als dieses machen ...«
»Und doch wäre es nicht dieses da!« erwiderte Hörtense. Als ob sie zuviel gesagt hätte, lief sie in den Garten.
»Ich werde Form und Modell vernichten«, sagte Steinbock.
»Bringen Sie mir also Ihre Papiere, und Sie sollen alsbald wieder von mir hören!«
Der Künstler sah sich durch diese Worte entlassen. Er verbeugte sich vor der Baronin und vor Hortense, die aus dem Garten zurückkam, allein um seines Grußes teilhaftig zu werden.
Dann schlenderte Steinbock nach dem Tuileriengarten. Er hatte nicht die Kraft und nicht den Mut, sein Dachstübchen aufzusuchen, wo ihn seine Tyrannin mit Fragen gequält und ihm sein Geheimnis entrissen hätte. Der Verliebte träumte sich tausend Statuen und Gruppen aus. Er fühlte die Schöpferkraft eines Canova in sich. Hortense begeisterte ihn. Sie war für ihn die verkörperte Phantasie geworden.
»Nun? Was hat das alles zu bedeuten?« fragte die Baronin ihre Tochter.
»Ach, Mutter, das war der Geliebte von Tante Lisbeth! Ich hoffe, jetzt ist er der meine. Aber laß dir nichts merken! Tu, als ob du nichts wüßtest! Du lieber Gott, ich wollte dir alles verheimlichen, aber ich muß dir alles sagen!«
»Lebt wohl, Kinder!« sagte der Baron, indem er sich von Frau und Tochter zärtlich verabschiedete. »Vielleicht sehe ich die alte Schachtel. Wer weiß, was für schöne Dinge ich von ihr über den jungen Mann erfahren werde!«
»Papa, sei vorsichtig!« warnte Hortense.
»Kindchen!« rief die Baronin aus, als ihr Hortense die ganze Geschichte erzählt hatte, deren letztes Kapitel die Vorfälle dieses Vormittags waren, »Kindchen, am allerschlauesten ist die Unerfahrenheit.«
Die echte Leidenschaft geht unbewußt den rechten Weg. Man setze einem Gourmet einen Korb mit Früchten vor: todsicher wählt er sich aufs Geratewohl das Beste. Ebenso ist es mit einem jungen Mädchen. Man lasse ihm ruhig die freie Wahl seines Gatten. Wenn der Rechte kommt, wird es ihn erkennen. Die Natur ist unfehlbar. Das Wunder der Natur heißt in diesem Falle: Liebe auf den ersten Blick! In der Liebe hat der erste Blick einfach das zweite Gesicht.
Die Baronin war nicht minder glücklich als ihre Tochter, wenngleich sie ihre Zufriedenheit hinter der mütterlichen Würde verbarg. Von den drei Arten, Hortense zu verheiraten, von denen Crevel gesprochen hatte, schien sich die seiner Ansicht nach beste verwirklichen zu wollen. Frau von Hulot sah in dem Ereignis des Tages eine Antwort der Vorsehung auf ihre inbrünstigen Gebete.
Fräulein Fischers Sklave, zur Rückkehr in seine Behausung schließlich doch gezwungen, beschloß, die Freude über sein Liebesglück hinter der Freude des Künstlers über seinen ersten Erfolg zu verbergen.
»Viktoria! Meine Gruppe ist an den Herzog von Hérouville verkauft. Er will mir auch Aufträge verschaffen!« rief er aus und warf die zwölfhundert Francs in Gold der alten Jungfer auf den Tisch. Selbstverständlich zeigte er die Börse Hortenses nicht; er trug sie an seinem Herzen.
»Wahrlich, das ist Glück!« entgegnete Lisbeth. »Na, ich hab mich auch genug abgerackert. Siehst du, Junge, das Geld fließt in deinem Handwerk langsamer herein als hinaus, denn es ist das erste, das du einnimmst, und du bosselst schon fünf Jahre herum. Diese Summe ersetzt kaum das, was du mich seit dem Wechsel gekostet hast, den ich mit meinen Ersparnissen eingelöst habe. Aber sorge dich nicht«, fuhr sie fort, nachdem sie das Geld gezählt hatte, »sie soll nur für dich verwendet werden. Sie sichert uns ein ganzes Jahr. Erst dann brauchst du bei mir abzuzahlen, und du sollst auch ein gut Stück Geld für dich behalten, wenn es so weitergeht.«
Als Stanislaus so den Erfolg seiner List sah, erzählte er der alten Jungfer allerhand Märchen vom Herzog von Hérouville.
»Du mußt dich nun immer schwarz und modern kleiden. Ich werde dafür Sorge tragen und dir auch neue Wäsche
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