Tante Lisbeth (German Edition)
anschaffen, denn du mußt dich deinen Gönnern anständig präsentieren. Und dann mußt du jetzt auch eine größere und komfortablere Wohnung nehmen. Nicht mehr die scheußliche Mansarde. Und sie auch besser einrichten ... Ja, man sieht dir die Freude an. Du bist wie umgewandelt!«
»Man hat meine Gruppe ein Meisterwerk genannt!«
»Ja, ja. Um so besser! Mache noch andere!«
Die alte Jungfer sah ihn prüfend an. In ihrem nüchternen Sinn vermochte sie das Siegesgefühl nicht zu begreifen. Von Kunst und Schönheit verstand sie nichts.
»Befasse dich nicht mehr mit dem, was verkauft ist!« sagte sie. »Verfertige lieber etwas Neues zum Verkaufen! Du hast bare zweihundert Francs – Arbeit und Zeit gar nicht gerechnet – für deinen schrecklichen Simson aufgehen lassen. Die Ausführung deiner Uhr wird dich mehr denn zweihundert Francs zu stehen kommen. Glaube mir, du mußt auch die beiden Knaben, die das kleine Mädel mit Kornblumen krönen, vollenden. Das wird was für die Pariser! Genug! Jetzt will ich gleich einmal zu deinem Schneider gehen. Vorher zu Herrn Crevel. Geh hinauf in dein Stübchen! Ich will mich zurechtmachen.«
Am Vormittag darauf machte der Baron, ganz versessen auf Frau Marneffe, einen Besuch bei Tante Lisbeth. Sie war starr vor Überraschung, als sie die Tür öffnete und ihn vor sich sah. Er hatte sie noch niemals aufgesucht. Sofort sagte sie sich: Sollte Hortense ein Auge auf meinen Liebsten geworfen haben? Sie hatte nämlich tags zuvor durch Crevel erfahren, daß der alte Heiratsplan mit dem Regierungsrat gescheitert war.
»Herrgott! Vetter, du?« rief sie aus. »Das ist dein allererster Besuch bei mir, solange du lebst! Sicherlich nicht meiner schönen Augen wegen!«
»Scherz beiseite«, meinte der Baron, »du hast wirklich die schönsten Augen, die ich kenne ...«
»Sag, was führt dich her? Ich schäme mich ordentlich, dich in der Dreckbude hier empfangen zu müssen.«
Die vorderste der beiden Stuben, aus denen Tante Lisbeths Wohnung bestand, war zugleich Salon, Eßzimmer, Küche und Arbeitsraum. Der Hausrat war wie bei einem besseren Arbeiter. Stühle aus Nußbaum mit strohgeflochtenen Sitzen, ein kleiner Eßtisch aus Nußbaum, ein Arbeitstisch, ein paar kolorierte Stiche in schwarzen Holzrahmen, an den Fenstern kurze Musselinvorhänge, ein großer Kleiderschrank, auch aus Nußbaum; die Steinfliesen gescheuert, strahlend, sauber; weit und breit kein Stäubchen; aber alles nüchtern und frostig. Der Gesamteindruck erinnerte an die Art von Gerard Terborch. Dieselbe graue Stimmung. Die einstmals blaue, aber längst ins Leinengraue verschossene Tapete gab den richtigen Hintergrund. In das andere Gemach, das Schlafzimmer, war noch niemand gedrungen.
Der Baron war sofort im Bilde. Die Kleinbürgerlichkeit begrüßte ihn aus allen Ecken und Enden, vom gußeisernen Öfchen bis zum Kochgerät. Mit einer gewissen Beklemmung dachte er bei sich: Also so wohnt die Tugend! Laut sagte er:
»Was mich herführt? Solltest du schlaues Menschenkind das nicht schon heraushaben? Muß ich es dir wirklich erst sagen?«
Er setzte sich auf den Stuhl am Fenster, schob den Musselinvorhang ein wenig beiseite und blickte auf den Hof hinunter.
»Hier im Hause wohnt ein hübsches Frauenzimmer!« bemerkte er.
»Ach, die Frau Marneffe! Aha!« Nun wußte sie alles. »Na, und Josepha?«
»Tantchen! Es gibt für mich keine Josepha mehr. Man hat mir den Laufpaß gegeben wie wer weiß wem ...«
»Und was wird nun?«
Tante Lisbeth betrachtete den Baron mit jener Altjüngferlichkeit, die vor gewissen Dingen eine Viertelstunde vorher Angst bekommt.
Der Baron fuhr fort: »Frau Marneffe ist ein höchst adrettes Frauchen. Die Frau eines Beamten. Du kannst also mit ihr verkehren, ohne dir etwas zu vergeben. Ich möchte, du hieltest mit ihr gut Nachbarschaft. Ruhig Blut! Sie wird die größte Hochachtung vor dir haben. Vor dir, der Kusine des Chefs ihres Mannes!«
In dem Augenblick vernahm man das Rascheln von Kleidern draußen auf der Treppe; dazu hörte man die Tritte eines weiblichen Wesens in feinem Schuhwerk. Dieses Geräusch verstummte an der Schwelle. Nach zweimaligem Klopfen ging die Tür auf, und Frau Marneffe trat ein.
»Verzeihen Sie, Fräulein Fischer, daß ich bei Ihnen einbreche. Aber gestern habe ich Sie nicht angetroffen, als ich Ihnen meinen Besuch machen wollte. Wir sind Nachbarinnen, und wenn ich gewußt hätte, daß Sie die Kusine vom Herrn Staatsrat sind, hätte ich Sie schon längst gebeten, mich
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