Tante Lisbeth (German Edition)
veröffentlicht worden ist. Sie hat sie mit ihren Ersparnissen erworben. Und der Baron ist es, der Steinbock als seinen künftigen Schwiegersohn lanciert und ihm alle Wege ebnet... .«
Lisbeth verlangte nach Wasser. Sie hatte unter der Lithographie die Worte gelesen: »Original im Besitze von Fräulein Hulot von Ervy.«
»Wasser! Der Kopf brennt mir. Ich werde verrückt!«
Valerie brachte Wasser. Die alte Jungfer riß ihren Hut ab, löste ihr schwarzes Haar und steckte den Kopf in die Waschschüssel, die ihr die neue Freundin hinhielt. Mehrere Male tauchte sie die Stirn hinein, um sie zu kühlen. Dadurch fand sie die Selbstbeherrschung wieder.
»Es ist vorbei!« sagte sie hierauf zu Frau Marneffe, indem sie sich wieder hinsetzte. »Kein Wort mehr darüber! Sieh, ich bin wieder ganz ruhig! Alles ist vergessen. Ich denke an ganz was anderes.«
Sicherlich kommt sie morgen ins Irrenhaus! dachte Valerie bei sich, indem sie die Tante Lisbeth betrachtete.
»Was soll ich auch tun?« fuhr sie fort. »Siehst du, Kleinchen, ich muß stillehalten, keine Miene verziehen, bis ich ins Grab sinke wie das Wasser in den Strom! Was könnte ich auch ausrichten? Ach, ich möchte die ganze Gesellschaft: Adeline, ihre Tochter und den Baron zu Staub zermalmen! Aber was vermag eine arme Verwandte wie ich gegen eine große reiche Familie? Die Mücke gegen den Elefanten?«
»Du hast schon recht«, gab Valerie zur Antwort. »Jeder muß sehen, wo er bleibt. Das ist das Pariser Leben!«
Lisbeth fuhr fort:
»Ich werde ganz bestimmt sterben, wenn ich mein Kind verliere. Ich habe fest geglaubt, immerdar bei ihm bleiben zu können, als sei ich seine Mutter... .«
Tränen traten ihr in die Augen. Sie hielt inne. Diese Rührseligkeit an der sonst so handfesten alten Jungfer ließ Frau Marneffe zusammenschauern.
»Aber ich habe ja dich gefunden!« begann Lisbeth von neuem, indem sie Valeries Hand ergriff. »Das ist ein Trost in meinem schweren Leid! Wir wollen uns recht liebhaben! Was sollte uns auch je trennen? Ich werde dir nie ins Gehege kommen. Mich wird nie einer lieben! Wenn mich je einer heiraten wollte, war es immer der Protektion meines Vetters zuliebe... . Die Kraft in sich zu spüren, sich den Himmel erkämpfen zu können, und sie zu nichts zu verwenden, als sich das tägliche Brot, ein paar lumpige Kleider und ein Dachstübchen zu erringen: das ist ein Martyrium! Ich bin dabei vertrocknet.«
Sie hielt plötzlich inne und durchbohrte Frau Marneffes blaue Augen mit einem düstern Blick, der dieser wie ein scharfer Dolch durchs Herz ging.
»Aber wozu rede ich denn?« rief sie mit sich selbst hadernd aus. »Noch nie hab ich so viel darüber geschwatzt. Wartet nur! Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein!« Und nach einer Weile fuhr sie wie ein Kind lallend fort: »Du hast vorhin sehr klug gesagt: Man muß in der Welt sehen, wo man bleibt.«
»Gewiß!« Valerie erinnerte sich nicht, daß sie die Worte ausgesprochen hatte. Die ganze Szene lastete schwer auf ihr. »Ich glaube, du hast recht, Kleinchen. Siehst du, das Leben flieht so schnell dahin, daß man es mit aller Kraft auskosten und die andern zum eigenen Genuß ausnutzen muß... . Ich bin bereits auf diesem Standpunkt angelangt, so jung wie ich bin! Als Kind bin ich verwöhnt worden. Dann verheiratete sich mein Vater aus Ehrgeiz. Nachdem ich erst sein Abgott gewesen war und er mich wie ein Königskind aufgezogen hatte, kümmerte er sich nun gar nicht mehr um mich. Meine arme Mutter, die mich in tausend Träume gewiegt, starb aus Herzeleid, als ich einen kleinen Beamten mit zwölfhundert Francs Gehalt heiratete, einen neununddreißigjährigen liederlichen, durch und durch verdorbenen Kerl, der nichts in mir sah als ein Mittel, Geld zu ergattern! Und doch war mir der Lump der beste Ehemann, den ich schließlich finden konnte. Indem er mir die gemeinsten Gassendirnen vorzieht, läßt er mich wenigstens ungeschoren. Er nimmt sein Gehalt ganz allein für sich, fragt aber auch nicht, was ich mit meinen Einkünften anfange... .«
Sie unterbrach sich, wie jemand, der das Gefühl hat, vom Drang sich mitzuteilen, fortgerissen zu werden. Betroffen von der Aufmerksamkeit, mit der ihr Lisbeth zuhörte, hielt sie es mit einem Male für angebracht, sich erst Lisbeths zu versichern, ehe sie ihr die letzten Geheimnisse anvertraute. Und so schloß sie ihre Rede:
»Du siehst, Kleinchen, welch Vertrauen ich zu dir habe!«
Tante Lisbeth antwortete mit einem durchaus beruhigenden
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