Tante Lisbeth (German Edition)
herabzugleiten schien, und im Haar schimmerten Weinblüten.
»Valerie«, flüsterte der Brasilianer der jungen Frau zu, »ich bin dir treu geblieben. Mein Onkel ist gestorben, und ich bin nun doppelt so reich wie vor meiner Abreise. Ich will in Paris leben und sterben, bei dir und für dich!«
»Leiser, Heinrich, ich bitte dich!«
»Ach was! Am liebsten setzte ich die ganze Bande vor die Tür. Ich muß mit dir reden. Zwei Tage habe ich gebraucht, dich aufzustöbern. Ich werde als letzter zurückbleiben, ja?«
Valerie lächelte dem Pseudovetter zu und sagte:
»Du bist also der Sohn einer Schwester meiner Mutter!«
»Ich, Montes von Montejanos, Urenkel eines der Eroberer Brasiliens, ich soll lügen?«
»Leise, oder wir sind geschiedene Leute!«
»Warum nur?«
»Mein Mann ist neuerdings eifersüchtig ...«
»Dieser Lakai?«
Der Brasilianer kannte seinen Mann.
»Ich werde ihm Geld geben!« warf er hin.
»Diese Heftigkeit!«
»Sag mal, woher stammt der Luxus?« fragte er mit einem Blick auf die Herrlichkeiten des Salons.
Valerie lachte. »Sei nicht so häßlich, Heinrich!«
Eben hatte sie zwei flammende Blicke der Eifersucht empfangen, die sie zwangen, nach den beiden tieferregten Personen zu sehen. Crevel spielte zusammen mit Marneffe gegen Hulot und Coquet. Da sowohl Crevel wie der Baron Fehler über Fehler machten, glichen sich die Spielkräfte aus. Valerie hatte es verstanden, daß die beiden alten Männer drei Jahre lang ihre Leidenschaft verborgen gehalten hatten. Jetzt verrieten sich beide zur selben Stunde. Aber auch sie hatte sich nicht genügend beherrscht. Ihre Augen hatten das Glück verkündet, das sie beim Wiedersehen dessen empfand, der ihr erster Herzliebster gewesen war. Die Rechte wirklicher Liebe reichen bis zum Tode der geliebten Frau.
Von diesen drei starken Leidenschaften fußte die eine auf der schamlosen Macht des Geldes, die andere auf dem Eigentumsrecht und die dritte auf Jugend, Kraft, Reichtum und Erstbesitz. Allen dreien gegenüber blieb Frau Marneffe ruhig und kaltblütig wie Bonaparte vor Mantua. Die Eifersucht entstellte Hulots Gesicht bis zur Grimasse. In seiner Rolle als »bel homme« hatte der Staatsrat die Eifersucht nie kennengelernt. Er war seiner Siege immer sicher gewesen. Seine Niederlage bei Josepha, die erste seines Lebens, schob er der Geldgier dieses Weibes zu; da hatten ihn die Millionen des Herzogs von Hérouville aus dem Sattel gehoben. Liebeszauber und die Verrücktheit der Eifersucht überschwemmten wie rasende Bergströme im Nu sein Herz. Er wandte sich vom Whisttische ab dem Kamin zu, legte seine Karten aus der Hand und warf einen herausfordernden Blick auf Valerie und den Brasilianer. Die Stammgäste des Salons verspürten jene Mischung von Neugier und Angst, die der Mensch empfindet, wenn eine wilde Macht jeden Augenblick loszubrechen droht. Der Pseudovetter betrachtete den Baron, als besichtige er einen alten chinesischen Porzellanpagoden. Die Situation konnte nicht lange währen, ohne zu einem schrecklichen Skandal zu führen. Marneffe zitterte für Hulot, denn er hatte keine Lust, lebenslang Kanzleisekretär zu bleiben. Todeskandidaten glauben an das Leben wie Zuchthäusler an die Freiheit. Er wollte um jeden Preis Kanzleidirektor werden. Erschrocken über das Benehmen des Barons und Crevels stand er auf und flüsterte seiner Frau ein paar Worte ins Ohr. Zum großen Erstaunen der Gesellschaft ging Valerie mit dem Brasilianer und ihrem Mann in ihr Schlafzimmer.
»Hat dir Frau Marneffe schon einmal was von dem Vetter da erzählt?« fragte Crevel den Baron.
»Niemals!« antwortete er und erhob sich. »Schluß für heute! Ich verliere vierzig Francs. Hier!«
Er warf zwei Goldstücke auf den Spieltisch und setzte sich auf den Diwan. Seine Miene gab das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch. Herr und Frau Coquet verließen nach ein paar Redensarten den Salon; Claude Vignon folgte ihnen. Ihr Beispiel zog alle sich überflüssig Vorkommenden nach sich. Der Baron und Crevel saßen schließlich allein noch da, ohne miteinander zu sprechen. Hulot, der Crevels Anwesenheit vergaß, näherte sich auf den Fußspitzen der Schlafzimmertür, um zu horchen, prallte aber mit wunderlichem Sprunge zurück, weil Marneffe gerade die Tür öffnete. Vergnügten Angesichts erschien der und wunderte sich, daß nur noch die beiden da waren.
»Der Tee?« meinte er.
»Wo steckt denn Valerie?« fragte der Baron wütend.
»Meine Frau? Die ist zu Ihrer Fräulein Kusine
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