Tante Lisbeth (German Edition)
Salon waren ihre Getreuen vereint. Eben hatte sie die Whisttische in Gang gebracht, als der Diener, ein gedienter Soldat, den ihr der Baron besorgt hatte, meldete:
»Herr Marquis Montes von Montejanos!«
Valerie empfand einen heftigen Krampf um das Herz. Aber rasch eilte sie zur Tür und rief aus:
»Vetter, du!«
Dicht vor dem Brasilianer flüsterte sie ihm zu:
»Du bist ein Verwandter von mir, oder zwischen uns ist alles aus!« Laut sagte sie, indem sie den Eintretenden zum Kamin geleitete: »Famos! So ist dein Schiff also doch nicht untergegangen, lieber Heinrich! Man hat es mir berichtet, und ich habe dich seit drei Jahren betrauert ...«
»Guten Tag, Verehrter!« begrüßte ihn Marneffe, indem er ihm die Hand bot. Der Brasilianer stand so recht wie ein südamerikanischer Millionär da.
Montes von Montejanos war vom Tropenklima braun gebrannt; robust, wie er war, sah er aus wie Othello auf dem Theater. Seine finsteren Mienen erregten Furcht; indessen war das eine rein äußerliche Wirkung. Innerlich sanft und zärtlich, war er vielmehr, wie so viele körperlich starke Männer, ein prädestiniertes Opfer der Herrschaft schlauer Frauen. Sein Hochmut, den man ihm auf den ersten Blick ansah, seine körperliche Überlegenheit, die sich durch seine gutgebaute Gestalt verriet, alle seine Kräfte entfalteten sich nur Männern gegenüber. Es liegt in solcher Art etwas Schmeichlerisches für die Frauen, und so berauschen sie sich gern daran.
In seinem blauen Rock mit Knöpfen aus purem Golde, den schwarzen Beinkleidern, tadellosen Lackstiefeln, modischen Handschuhen, der weißen Weste und seiner fabelhaft feinen Wäsche hatte der Marquis zu all seinem Luxus noch etwas ganz Exotisches an sich: einen Riesenbrillanten, etwa im Werte von hunderttausend Francs, der wie ein Stern auf seiner pompösen Krawatte aus blauer Seide funkelte. Seine Stirn, stark gewölbt wie die eines Satyrs – ein Zeichen von Starrsinn in der Leidenschaft –, verlief in einen Urwald von pechschwarzem Haar. Darunter blinkten zwei klare Augen mit einem merkwürdig fahlroten Schimmer; man hätte glauben mögen, die Mutter des Marquis wäre während ihrer Schwangerschaft von einem Jaguar erschreckt worden.
Dieses Prachtexemplar der portugiesisch-brasilianischen Rasse stand, den Rücken an den Kamin gelehnt, den Hut in der Hand, in einer Haltung, die Bekanntschaft mit den Pariser Sitten verriet. Gegen Frau Marneffe vorgeneigt, plauderte er leise mit ihr, indem er sich so gut wie gar nicht um die gräßlichen Spießbürger kümmerte, die seiner Meinung nach höchst überflüssigerweise den Salon füllten.
Das operettenhafte Auftauchen des Brasilianers, sein auffälliges Aussehen und Benehmen erregten in Crevel wie im Baron völlig gleiche Empfindungen von Neugier und Beklemmung. In beiden gelangten gleiche Ahnungen zu gleichem Ausdruck. Daher wirkte das Gebaren der beiden, hier wie da von wahrer Leidenschaft getrieben, durch seine Ähnlichkeit in den Bewegungen derartig komisch, daß jeder lächeln mußte, der Geist genug besaß, um hier eine Offenbarung zu erkennen. Crevel, Krämer und Spießbürger durch und durch bei all seiner Amtswürde, verblieb zu seinem Unglück länger betroffen als sein Leidensgefährte, und der Baron erfaßte den unfreiwilligen Selbstverrat Crevels. Das war ein weiterer Schlag für das Herz des verliebten alten Mannes. Er nahm sich vor, Valerie um eine Erklärung zu ersuchen.
Während Crevel seine Karten ordnete, dachte auch er bei sich: Heute abend muß es sich entscheiden!
»Sie haben also doch Coeur!« rief Marneffe. »Eben haben Sie es nicht zugegeben.«
»Ach, Verzeihung!« entschuldigte sich Crevel und bat um Rückgabe der falschen Karte.
Dieser Marquis da kommt mir überflüssig vor, fuhr er in seinem Selbstgespräch fort. Wenn ich mich mit dem lieben Baron in Valerie teile, so ist das nur meine Rache, und ich kann mich seiner entledigen, wenn ich will. Aber dieser neue Vetter da, der ist zuviel! Ich habe keine Lust, den Dummen zu spielen. Ich muß wissen, wie er mit ihr verwandt ist.
Gerade an dem Abend war Valerie dank einem jener glücklichen Zufälle, die hübschen Frauen immer begegnen, köstlich gekleidet. Ihre weiße Brust leuchtete aus Spitzen hervor, deren rötliche Farbe die mattschimmernden Schultern wundervoll zur Geltung brachte. Die Pariserinnen verstehen es – wer weiß wodurch? – voll zu sein und doch schlank zu erscheinen. Sie trug ein schwarzes Samtkleid, das jeden Augenblick
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