Tante Lisbeth (German Edition)
Bleistift immer auf ihrem Nähtisch.
»Ja, ja«, gab der Marschall zurück, »er hat eine Menge zu tun mit den Angelegenheiten in Algier.«
In dem Augenblick traten Hortense und Stanislaus ein. Als die Baronin ihre Familie um sich sah, warf sie auf den Marschall einen Blick, dessen Sinn nur von Lisbeth verstanden wurde.
Das Glück hatte den Künstler beträchtlich verschönt. Er ward von seiner Frau angebetet und von der Gesellschaft verhätschelt. Sein Gesicht war fast voll geworden, und seine elegante Gestalt brachte alle Reize seiner edlen Rasse zur Geltung. Sein allzu früher Ruhm, seine Wichtigkeit, die Schmeicheleien, die die Welt den Künstlern zollt, ohne sich viel dabei zu denken, verliehen ihm jenes Selbstbewußtsein, das in Geckenhaftigkeit ausartet, je mehr sich das Talent verflüchtigt. Das Kreuz der Ehrenlegion vervollständigte in seinen eigenen Augen den großen Mann, der zu sein er sich einbildete.
Nach dreijähriger Ehe war Hortense die völlige Sklavin ihres Mannes. Sie antwortete auf die geringste Bewegung von ihm mit einem Blicke, der immer wie eine Frage aussah. Sie wandte kein Auge von ihm, wie ein Geiziger von seinem Gelde. Ihre selbstlose Bewunderung war geradezu rührend. Man erkannte an ihr den Geist und die Ratschläge ihrer Mutter. Die Schönheit war ihr geblieben, nur war sie ätherischer geworden durch einen zarten Schatten heimlicher Melancholie.
Als Lisbeth die Gräfin eintreten sah, meinte sie, die so lange verhaltene Klage werde die schwache Hülle der Verschwiegenheit durchbrechen. Die alte Jungfer war bereits am ersten Tage des Honigmonds der Ansicht, daß die junge Ehe viel zuwenig Einkünfte für eine so große Leidenschaft habe.
Als Hortense ihre Mutter umarmte, wechselte sie mit ihr von Mund zu Mund und von Herz zu Herz ein paar Worte, deren Geheimnis Lisbeth aus Adelines Kopfschütteln erriet.
Adeline wird noch wie ich einst arbeiten müssen, um ihr Leben zu fristen! sagte sie sich. Sie muß mich über ihre Absichten auf dem laufenden halten. Ihre zarten Finger sollen doch noch erfahren, was Zwangsarbeit ist.
Um sechs Uhr begab sich die Familie in das Eßzimmer. Für Hektor lag ein Gedeck bereit.
»Lassen Sie es, Mariette!« befahl die Baronin. »Der Herr verspätet sich zuweilen.«
»Gewiß, Vater wird kommen«, bestätigte der junge Hulot seiner Mutter. »Er hat es mir beim Gehen im Abgeordnetenhause versprochen.«
Lisbeth beobachtete – wie eine Spinne in der Mitte ihres Netzes – aller Mienen. Da sie Hortense und Viktor hatte heranwachsen sehen, war sie gewohnt, durch den Spiegel ihrer Gesichter in ihren Seelen zu lesen. Aus gewissen Blicken, die Viktor seiner Mutter verstohlen zuwarf, erkannte sie, daß irgendein Unheil über Adeline hereinzubrechen drohte, das aber Viktor ihr zu enthüllen zögerte. Der berühmte junge Advokat war traurig gestimmt. Aus den Blicken, mit denen er schmerzerfüllt seine Mutter betrachtete, sprach seine Verehrung für sie. Hortense war sichtlich mit ihren Sorgen beschäftigt. Lisbeth wußte, daß sie seit einiger Zeit jene Unruhe in sich trug, die anständige Menschen bei Geldverlegenheiten empfinden, zumal junge Frauen, die das Leben nur von der heiteren Seite kennen und ihre Not verbergen wollen. Tante Lisbeth zweifelte keinen Augenblick, daß die Mutter ihrer Tochter nichts gegeben hatte. Die rücksichtsvolle Adeline hatte sich also dem Marschall gegenüber zu einer Unwahrheit verleiten lassen, wie sie einem die Not in Geldverlegenheit abpreßt.
Hortenses Versonnenheit, die Schweigsamkeit ihres Bruders und die tiefe Schwermut der Baronin stimmten die Mahlzeit trübselig. Dazu wirkte die Schwerhörigkeit des alten Marschalls sowieso schon drückend. Nur drei Personen belebten die Szene: Tante Lisbeth, Cölestine und Stanislaus. Die Liebe zu Hortense hatte in dem Künstler die Lebhaftigkeit zur Entfaltung gebracht, jene gewisse Gascognerie und liebenswürdige Ausgelassenheit, die Slawen und Südgallier gemeinsam haben. Sein Wesen wie seine Mienen verrieten deutlich genug, daß er an sich selber glaubte. Und die arme Hortense verbarg ihm, dem Rate ihrer Mutter getreu, all ihre häuslichen Sorgen.
»Du mußt doch sehr glücklich sein!« sagte Lisbeth zu ihr, als sie vom Tische aufstanden. »Deine Mutter hat dich aus der Verlegenheit gezogen, indem sie dir ihr Geld gegeben hat.«
»Mutter? Mir?« gab Hortense betroffen zur Antwort. »Die arme Mutter, für die ich am liebsten Geld erarbeiten möchte? Weißt du, Lisbeth, mitunter
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