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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gegen meine Familie!
    Arme Frau!« fuhr er nach einer Weile fort. »Seit länger als neun Monaten habe ich ihr kein Geld gegeben. Nur für dich treibe ich welches auf, Valerie, aber um welchen Preis! Nie wirst du jemals wieder so geliebt werden! Und doch fügst du mir dafür soviel Leid zu.«
    »Leid?« wiederholte sie. »So wagst du also dein Glück zu nennen!«
    »Noch weiß ich nicht«, fuhr er fort, ohne auf Valeries Worte einzugehen, »in welchen Beziehungen du zu deinem angeblichen Vetter stehst, von dem du mir nie etwas erzählt hast. Gleich als er eintrat, ging es mir wie ein Dolchstich durchs Herz. So verblendet ich auch sein mag, blind bin ich nicht! Ich habe in deinen und seinen Augen gelesen. Der Affe hat dich angesehen und du ihn ... Nie, niemals hast du mich so angeblickt, niemals! Genug, das Geheimnis wird sich ja enthüllen. Valerie! Du bist die einzige Frau, die mich mit dem Gefühl der Eifersucht bekannt gemacht hat... Aber noch ein anderes Geheimnis hat sich mir enthüllt. Und das dünkt mich eine Infamie...«
    »Geh!« rief Valerie aus.
    »Crevel, dieser dumme Fleischkloß, liebt dich! Und du nimmst seine Schwänzeleien so wohlgefällig auf, daß der alberne Kerl seine Verliebtheit vor aller Welt zur Schau trägt...«
    »Das wären drei! Hast du nicht noch mehr bemerkt?« fragte Frau Marneffe.
    »Vielleicht sind sie vorhanden ...«
    »Wenn mich Crevel liebt, so ist das sein Recht als Mann. Wenn ich aber seine Liebe wohlgefällig duldete, wäre ich eine Dirne. Ach was, liebe mich mit meinen Fehlern oder laß mich! Wenn du mir meine Freiheit zurückgibst, will ich weder dich noch Crevel je wiedersehen! Ich werde mir meinen Vetter nehmen, um das wahr zu machen, was du mir so reizend andichtest. Leben Sie wohl, Herr Baron von Hulot!«
    Sie erhob sich; aber der Baron faßte sie am Arm und nötigte sie, wieder Platz zu nehmen. Dem alten Manne konnte Valerie durch keine andere mehr ersetzt werden; sie war ihm eine dringlichere Notwendigkeit geworden als alle andern Bedürfnisse des Lebens, und ewige Ungewißheit war ihm im Grunde lieber als auch nur der leiseste Beweis ihrer Untreue.
    »Liebe Valerie«, sagte er demungeachtet, »siehst du nicht, wie ich leide? Ich verlange ja nichts weiter von dir, als daß du dich rechtfertigst! Bringe mir klare Beweise!«
    »Gut. Erwarte mich unten! Du wirst doch gewissen Zeremonien nicht beiwohnen wollen, die Tante Lisbeths Zustand erfordert!«
    Hulot zog sich zögernd zurück.
    »Alter Liederjan!« rief Lisbeth ihm nach. »Nach deinen Kindern fragst du gar nicht. Was wirst du für Adeline tun? Na, zunächst werde ich ihr einmal morgen meine Ersparnisse bringen.«
    Hulot ließ Lisbeths Vorwürfe über sich ergehen. Hatte ihn nicht Josepha in ganz ähnlichem Tone heruntergemacht? Er war einer von denen, die gewissen wichtigen Erörterungen am liebsten aus dem Wege gehen.
     
    Kaum war der Riegel vorgeschoben, als der Brasilianer aus dem Ankleidezimmer, wo er gesteckt hatte, hervorkam. Er sah verweint und jämmerlich aus. Offenbar hatte er alles mit angehört.
    »Heinrich, du liebst mich nicht mehr! Ich weiß es!« klagte Valerie, indem sie das Gesicht mit ihrem Taschentuch bedeckte und in Tränen ausbrach. '
    Es war ein Aufschrei echter Liebe. Die Verzweiflungslaute des Weibes sind so untrügerisch, daß sie die Verzeihung herbeizwingen, die im Herzen jedes Verliebten harrt, wenn die Geliebte jung, hübsch und in der Halbnacktheit der Gesellschaftskleidung vor ihm steht.
    »Warum verläßt du denn nicht alles mir zuliebe?« fragte der Brasilianer.
    Diese echt amerikanische Frage war logisch wie alles, was solche Naturburschen sagen.
    »Warum?« wiederholte Valerie, indem sie sich aufrichtete und ihn liebevoll ansah. »Ja, liebes Herzchen, ich bin eine verheiratete Frau, und wir leben in Paris, nicht in den Steppen Amerikas. Bester Heinrich, meine erste und einzige Liebe, höre mich an! Mein Mann, simpler Sekretär im Kriegsministerium, will Kanzleidirektor und Ritter der Ehrenlegion werden. Kann ich ihn an seiner Streberei hindern? Siehst du, mit derselben Berechnung, mit der er uns vor vier Jahren volle Freiheit ließ – erinnerst du dich daran, du Bösewicht? –, halst er mir jetzt seinen Chef auf, den Baron Hulot. Ich kann mich des widerlichen Kanzleimenschen, der wie ein Seehund japst und Haare in den Nasenlöchern hat, nicht so ohne weiteres entledigen. Er ist dreiundsechzig Jahre alt. Seit drei Jahren ist er über zehn Jahre gealtert, aber er hält sich für

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