Tanz auf dem Regenbogen
schmucklose Augen freizugeben. »Warum glauben Sie, Ihr Freund könnte hier Patient sein?«
»Weil er vor ungefähr einer Woche verschwunden ist und ansonsten nirgendwo zu sein scheint.«
»Diese Zigarre ist nicht an, oder?« sagte sie mit ziemlicher Schärfe.
»Nein, ist sie nicht. Er könnte Opfer einer Amnesie geworden sein.«
»Wer könnte Opfer einer Amnesie geworden sein?«
»Mein Freund.«
»Ich verstehe«, sagte die Frau, ließ sich aber nicht anmerken, ob sie das wirklich tat. Einen Moment lang sortierte sie einige Papiere völlig willkürlich.
»Warum dauert das so lange?« sagte Stephanie. Ihre schrille Stimme traf mich wie ein Pfeil in den Rücken. Ich drehte mich um, um meine meuternde Truppe zu besänftigen.
»Immer langsam mit den jungen Bräuten!« sagte ich.
»Das ist mal was, um das du dir keine Sorgen machen brauchst«, sagte sie.
Ich drehte mich zurück und lächelte die große Schwester mit dem charmantesten Lächeln an, das ich noch auf Lager hatte. Sie lächelte nicht zurück.
»Wie lautet der Name Ihres Freundes?« fragte die Frau, während sie meinen Strohcowboyhut eingehend studierte. Das Studienobjekt schien ihr jedoch zu mißfallen.
»Michael R. McGovern«, sagte ich. »Aber das wüßte er natürlich nicht.« Vielleicht sollte ich den Cowboyhut irgendwie verschwinden lassen, dachte ich.
»Woher wissen Sie, daß er es nicht wüßte?« sagte die Frau wie eine mißtrauische Hausfrau, die ihren Mann bei einer Lüge erwischt.
»Würde er an Amnesie leiden«, sagte ich ziemlich frustriert, »wüßte er seinen Namen nicht mehr.«
»Sind Sie Arzt?« fragte die Frau sanft, aber auch gleichzeitig wütend.
»Warum dauert das so lange?« rief Stephanie.
Die bürokratischen blauen Augen der Schwester hielten für einen langen Moment die gebieterischen blauen Augen meiner blonden Begleiterin fest. McCall und ich standen daneben wie unschuldige Passanten, die starr vor Schreck zuschauen. Männer können nur wenig davon erahnen, was in der seidenen Fabrik hinter den blauen Augen vorgeht und außerdem wollten weder McCall noch ich uns einmischen. Niemand, der bei Verstand ist, steht auf Zickenterror in der Psychiatrie.
»Ich bin kein Arzt«, sagte ich schließlich. »Ich bin ein Mann, der versucht, eine psychiatrische Anstalt zu besuchen. Ich hatte bereits angerufen und war davon ausgegangen, alles sei geregelt, aber offensichtlich hat das nicht geklappt…«
Es hatte keinen Sinn mehr weiterzureden. Es war niemand mehr hinter dem Empfangstisch. Die Frau hatte sich offenbar in ihren kleinen Hasenstall zurückgezogen und mich einfach stehen gelassen, so daß ich wie einer der Patienten zu mir selbst wie zu einem imaginären Freund sprach. Ich befand mich in einer ziemlich unangenehmen Situation, aber angesichts des Ortes, an dem sie stattfand, konnte man wohl kaum von einem merkwürdigen Vorfall sprechen.
John und Stephanie waren bereits auf den Beinen und ich war im Begriff, mir die Zigarre in der Lobby anzustecken, sozusagen als Vorbereitung zum Verlassen des Gebäudes, als ein höchst aufgeregtes Individuum in phlegmafarbenem Trainingsanzug wie ein Irrer auf uns zusprang. Erst glaubte ich, seine Aufregung sei auf die erbärmlich vorhersehbare, standardisierte Reaktion in den meisten Einrichtungen, egal ob psychiatrisch oder anderweitig, auf den völlig inakzeptablen Umstand, daß ein Mann seine Zigarre in der Lobby ansteckt, zurückzuführen. Dann überlegte ich es mir anders und identifizierte ihn als Patienten, der mich töten wollte. Wie es das Schicksal wollte, hatte ich beide Male Unrecht.
»Hallo! Ich bin Kimo!« sagte er und geiferte Stephanie tierisch an. »Fertig, Leute? Die große Tour durch den Zoo beginnt!«
Seinen Worten treu, schlitterte der Wärter sofort in die Eingeweide des Gebäudes. Wir folgten seinem großen schwabbelnden Gesäß in einen langen, gewundenen, leicht albtraumhaften Korridor, in dem Geräusche widerhallten, die bar jedes Menschlichen schienen.
»Ich bin heilfroh, daß ich die Mädels im Hotel gelassen habe«, sagte Stephanie.
»Ich wünschte, du hättest mich auch da gelassen«, sagte John McCall.
»Ihr benehmt euch wie zwei zimperliche, verzogene, kleine Babies«, sagte ich. »Es gibt praktisch keinen Unterschied zwischen dem Wahnsinn innerhalb dieser Mauern und der stillen Verzweiflung außerhalb. Es handelt sich nur um eine Frage der Abstufungen des menschlichen Verhaltens, das mit den Augen Gottes, der Geschichte oder eines großen,
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