Tanz der Aranaea (German Edition)
meiner Überraschung in geschliffenem französisch, ob er neben mir Platz nehmen dürfte. Er sah mich dabei an als würde er nichts anderes als eine Zustimmung erwarten. Ich hatte nichts dagegen.
Nach einer Weile, die Eisenbahn erreichte bereits die tiefen Schluchten und Täler des gewaltigen Bergmassives der Großen Kabylei, als mich mein neuer Nachbar fragte, ob ich Deutscher sei.
»Nein, ich bin nicht aus Deutschland«, antwortete ich knapp aber dennoch nicht unhöflich.
»Sie haben einen Akzent in ihrer Sprache, den ich sofort bemerkte, obwohl Sie nur sagten: „ Nehmen Sie Platz, es ist noch reichlich vorhanden!“ Es hörte sich an, als wenn Sie aus Deutschland kämen.«
Diese Urgewalt in Menschengestalt ließ nicht locker, und ich nahm mir vor nicht zuviel von meiner Identität Preis zu geben. Nur soviel an Identität und dazu ein gewisses Quantum an Aufgeschlossenheit, so das er zufrieden gestellt war. Ich wusste noch zu wenig über dieses Land und seinen Bewohnern. Möglicherweise wurde dieser Herr mit seinen ansonst guten Manieren, und den ausgezeichneten Sprachkenntnissen, die im krassen Gegensatz zu seinem Äußeren standen, auf mich angesetzt. Doch wer sollte sein Auftraggeber sein? Von Sabi-Loulou und Zouzou wusste ich, das Kabylen nur für sich kämpften. Sie kämpften nie für fremde Länder und deren Geheimdienste, und auch nicht für die neue verhasste Regierung unter Ben Bella. Mit Kabylen hatte unser Einsatz im Kongo absolut nichts zu tun, also dürfte von dieser Seite für mich keine Gefahr zu bestehen.
»Also aus Deutschland sind Sie nicht. Lassen Sie mich raten, sind Sie Österreicher?«
»Nein, raten Sie weiter!«
»Holländer?«
»Falsch!«
Jetzt musste ich doch laut lachen. Was bewog diesen Mann so neugierig zu sein, wie ein altes Waschweib? Dieser nicht unsympathische Mensch schien mir trotz seiner vom Lebenskampf gezeichneten Gesichtszüge eher harmlos, er ist kein auf mich angesetzter Agent. Ich war für ihn ein Buch, in dem er ein wenig lesen wollte, dessen war ich mir sicher. Und doch sollte ich mich gewaltig irren.
»Ich gebe auf! Übrigens, mein Name ist Mehdi Hamillah. Ich bin Kabyle aus Tizi Ouzou.«
»Und ich bin Schweizer, zwar italienischer Abstammung, geboren aber in Genf, in der französischen Schweiz. Mein Name ist Francesco Vancelli.«
»Ich bitte Sie um Entschuldigung, Herr Vancelli. Meine Aufdringlichkeit muss Sie beleidigen. Es liegt einfach daran, dass man mit Europäern, doch schon einige Zeit nur wenige Gespräche führen konnte.«
»Bereuen Sie denn diese Unabhängigkeit? Sie haben doch lange dafür gekämpft.«
»Ja, ich bereue es, denn nur die neuen Machthaber unter Ben Bella, und die Araber in Nachthemden sind unabhängig. Wir Kabylen sind es nicht. Wir haben die Revolution gegen die Franzosen geführt, und wir haben sie in ihr Mutterland zurück gejagt. Die Nutznießer aber sind andere. Wir Kabylen sind ein fleißiges und arbeitsames Volk. Ein Volk von Bauern und Handwerker, keine Politiker und Diplomaten, die ihnen das Wort im Munde herumdrehen. Wir besitzen Tugenden, die uns zum Nachteil gereichen.«
Scheinbar beiläufig fragte er mich nach dem Ziel meiner Reise, und bei mir läuteten alle Alarmanlagen. Bei Gott, diese Menschen sind wirklich keine Diplomaten.
»Ich bin Journalist und schreibe für die Neue Zürcher Zeitung. Wir wollen einen Bericht über das Leben in Algerien, eineinhalb Jahre nach der Unabhängigkeit veröffentlichen.«
Nun erwartete ich von Hamillah, das er mich in sein Bergdorf einladen würde, um mir den Alltag und die Lebensumstände
der Kabylen zu zeigen. Das ich einen ausführlichen Bericht
über den Betrug der neuen Machthaber in Algier gegenüber den Kabylen zu schreiben habe, und so weiter. Meine knapp bemessene Zeit ließ solche Zwischenstopps nicht zu. Auf der anderen Seite aber wäre dies kein schlechtes Alibi für meine ungestörte Reise nach Constantine. Nach dem Motto: "Ich bin in der Sache - verschiedene Volksgruppen, in Nordafrika, unterwegs!"
Ich machte mir unnötige Gedanken, denn von Mehdi Hamillah kam kein derartiges Anliegen. Wir redeten eine Zeitlang nicht mehr miteinander, ohne dass dabei eine beklemmende Situation entstand. Es war einfach ein Schweigen, wie es unter Männer oftmals üblich ist.
Wir befuhren eine große Senke, die die Große Kabylei von der Kleinen Kabylei trennt, und erst wenige Kilometer vor dem Mittelmeerhafen Bougie endet.
Der Fluss Oued Soummam begleitet uns
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