Tanz der Dämonen
ihm das Wort ab.
Ich schwankte im Sitzen. Zunge beugte sich vor und fühlte an meiner Stirn. Heiß! Eine Geste gab den anderen zu verstehen, sie sollten mich in Ruhe lassen. Er legte mir ein feuchtes Tuch um den Kopf und nahm mich in den Arm.
Ich habe wohl etwas geschlummert.
Im Lauf der Nacht kamen zahlreiche weitere Bettler, dazu Landstreicher und anderes missachtetes Volk von den Straßen herein. Als ich aufwachte, war reges Leben um mich herum. Gruppen rotteten sich zusammen, Speisen wurden bereitet, Witze flogen hin und her. Nicht jeder schien mit jedem Freund zu sein, aber die gemeinsame Zuflucht schuf eine Art Burgfrieden. Es gab Bettler, die erst wenige Tage in der Stadt waren, und andere, die sich längst einen festen Platz unter ihresgleichen erkämpft hatten, so wie mein zerlumptes Kleeblatt. Auch ein paar Gaukler in bunten Jacken und Spielleute, welche die festlichen Tage in Köln ausnutzen wollten und keine andere Bleibe gefunden hatten. Ich dachte an Ahasver, Pietro und Sambo. Aber die tauchten nicht auf. Stattdessen erschienen einige Dirnen der billigsten Kategorie, die tagsüber wohl auf den Straßenstrich gingen. Ihnen oder vielleicht eher ihren Freiern war es draußenoffenbar zu kalt geworden. Die eine oder andere mochte übrigens so tief gesunken sein, dass sie nur noch unter den Ausgestoßenen Kundschaft fand. Auch an Schnapphähnen, Taschendieben und Halsabschneidern fehlte es nicht in dieser Menge.
»Schau dir die Versammlung von Halunken an«, sagte ein graugesichtiger Bursche, der sich neben uns niederhockte. Den hatte ich schon vor ein paar Tagen in der Nähe meiner Freunde gesehen. Er trug mehr als ein Dutzend Marderschwänze an der Joppe; von denen sagt man, sie schützten vor dem bösen Blick. Er näselte: »Die meisten davon hätt’n kein Bedenken, jeden, wo sich’s lohnen möcht, kunstgerecht auszunehm. Am besten gleich über de Klinge springen lass’n!«
Er hatte wohl Recht: Um einen Mord in diesen Kreisen würde sich kein Büttel kümmern.
»Eine Prügelei?«, fuhr der Graugesichtige fort. »En Messerduell? ’ne Leiche inn ’er Gosse? Kein Hahn kräht danach. Aber grad jetzt is’ et ’ne andere Sach’. Die Behörden tun argwöhnisch, verstehst? Könnt ja ’ne Verstimmung der hohen Gäste hervorrufen.« Er schaute Beifall heischend um sich. »Hähä! Die vielen Fremden mach’n den Bürgern Angst. Am liebsten täten sie’s mit eisernen Besen ausfegen. Nur, et Gefängnis reicht nich’ aus, verstehst? Sonst säßen mir alle im Turm. Hehe, alle festsetzen!« Er schnäuzte sich ausdrucksvoll, erhob sich und schlich weiter.
»Bei dem hältst du besser den Mund«, sagte Bär. »Das ist ein Spitzel.«
Zunge nickte unbehaglich und spuckte aus.
»Jetzt versucht er sein Glück da drüben beim roten Hännes«, zischte Knaller.
Wir kamen aber nicht dazu, auf diesen Burschen weiter zu achten, weil jemand auf der Bildfläche erschien, mit dem ich ganz und gar nicht gerechnet hatte. Es war ein Mann mit schrecklich verqueren Augen: niemand anders als Bruder Anselmus. Wie kam der hierher? Und auf freiem Fuß! War der nicht im Kerker – oder aus der Stadt gewiesen?
Er trug einen weiten Mantel, der offensichtlich nicht für ihn gemacht war, und hatte eine Tonflasche unter dem Arm.
»Wie sieht der denn aus?«, zischte Knaller, und Zunge tippte sich mit dem Finger an die Stirn.
Anselmus schaute unruhig über die Menge und richtete sich so straff auf, wie er es nur vermochte.
»Seht, wie im Winter alle Bäume kahl stehen!«, rief er. »Als wären sie tot. Kein Sommer für euch und keine singenden Vögel! Abtrünnig seid ihr geworden … habt Seine Herrlichkeit geschmäht mit eurem unreinen Munde. Darum sollt ihr nicht Frieden haben, ihr werdet eure Tage verfluchen, und keine Gnade werdet ihr finden!«
Gelächter und unflätige Zurufe antworteten ihm.
»Seht ihn nur an«, kicherte einer der Galgenvögel. »Der Narr! Ein Auge kuckt zum Himmel und eins in die Hölle!«
»Den Auserwählten wird anderes zuteil«, rief Anselmus. »Licht, Freude und Friede! Die Gottlosen aber, die Gottlosen wird der Fluch treffen!« Er unterbrach sich, hob seine Flasche, zog den Korken mit den Zähnen heraus und trank. Dabei entblößten sich seine Unterarme, und ich sah scheußliche Striemen und frische Narben, die nur unvollkommen mit schmierigen Lappen abgedeckt waren.
Er schwankte, als er die Flasche absetzte. Dann sprach er leise weiter, als rede er zu sich selbst: »Die Engel, die
Weitere Kostenlose Bücher