Tanz der Dämonen
Vater?«
»Warte ab, bis du ihn kennst …«
»Auch er muss mich hassen. Der ganz besonders! Warum versteckt er sich?«
»Dafür kann es viele Gründe geben. Vielleicht kann er gerade jetzt nicht tun, was er möchte? Man hat nicht immer die Wahl. Immerhin: Er selber wollte, dass du zu ihm kommst …«
Um mich zu töten? Ich war es längst müde, darüber nachzugrübeln. »Und warum dann das Versteckspiel?«
»Vielleicht hat er Angst vor dir.«
»Angst? Vor mir!«
»Dass du ihn so siehst, wie er jetzt ist.«
Das hätte auf den Gesichtslosen gepasst. Aber der war tot. »Glaubst du wirklich, er ist ein Verbrecher?«
»Wer kann das schon sagen? Was ist das überhaupt: ein Verbrecher?«
»Ein Verbrecher!«
»Dann solltest du ihn fragen, wie es dazu gekommen ist. Manchmal gerät man in Sachen hinein, die man zu spät durchschaut. Es sind oft nicht die Schlechtesten, denen so was zustößt. Er kann kein gänzlich schlechter Mensch sein. Denk an deinen Brief: Er hat deine Mutter geliebt.«
Ob das die Wahrheit traf? Ich schwieg. Was hätte ich noch sagen sollen?
»Sei nicht mutlos«, sagte er. »Du hast dich, und du hast uns. Was kann dir passieren?«
Wieder ein gellendes »Kikerikiii!«, bestimmt von einem Misthaufen auf einem der Höfe, die in dieser seltsamen Stadt so selbstverständlich innerhalb der Mauern lagen, ganz als wäre man mitten im Bauernland.
»Abermals krähte der Hahn!« Das war Knaller, der sich so vernehmen ließ. Waren denn alle schon wach?
Ein heller Streifen Himmel schimmerte hinter den Türmen im Osten. Man konnte den größten Teil der Scheune bereits überblicken. Hier und da regte es sich unter den Decken und Lumpen. Einige Gestalten geisterten schon im Dämmerlicht umher, und bald flackerten die ersten Feuer. Wer Essen und Trinken hatte, bereitete sich sein Frühstück. Wir waren gut dran. Knaller hatte noch hartes Brot im Schultersack, und Zunge, der schon viel früher aufgewacht sein musste, kam bereits von einem Streifzug zurück und hatte irgendwo ein paar Eier »gefunden«. Wahrscheinlich hatte er sie auf dem Hof ergattert, auf dem der Hahn gekräht hatte. Es wurde ein richtiges Festmahl.
Nur Anselmus hockte mit verdrießlichem Gesicht daneben.
»Ist das Schiefauge noch da?«, fragte Bär. »Ich riech ihn doch! Greif zu. Glaubst du, wir lassen dich hungern?«
»Ich danke«, kam die Antwort, und die Eile, mit welcher die Aufforderung angenommen wurde, ließ erkennen, wie sehr sie erhofft worden war. Dennoch hätte sich der seltsame Kumpan anscheinend lieber die Zunge abgebissen, als dass er sich angebiedert oder womöglich gar ohne Einladung aufgedrängt hätte.
Seltsam sind manchmal die Ehrbegriffe unter den Menschen – nicht zuletzt bei den Ausgestoßenen.
»Verdammte Kälte«, schimpfte Knaller. »Mir jucken die Beinstümpfe!«
Anselmus rülpste vernehmlich und blickte abschätzend um sich.Man konnte erraten, dass er etwas sagen wollte, und ich wusste auch schon, was es sein würde: Er fing wieder mit Pater Nabor an.
»Ich glaube«, sagte er beiläufig, »der würde jetzt einiges dafür geben, wenn er noch einmal mit dir reden könnte …«
Ich dachte: Wenn mich nicht alles täuscht, hat er dir schon einiges gegeben, damit du ihm diese Gelegenheit verschaffst. Stattdessen sagte ich jedoch: »Ich weiß nicht, ob ich ihn sehen möchte. Er hat mir gar zu übel mitgespielt. Er macht mir Angst …«
»Dazu hast du verdammt guten Grund«, sagte Bär.
Anselmus wiegte den Kopf. »Es ist richtig, dass er etwas von dir erfahren will. Darum geht es ihm. Aber du solltest nicht übersehen, wie wichtig es ihm ist! Da wird er umgekehrt für dich etwas rausrücken müssen.«
Ich zögerte. »Was denn?«, fragte ich.
Zunge musterte Anselmus mit geradezu feindseliger Skepsis. Knaller schwieg verbissen. Es war schließlich Bär, der das entscheidende Wort sprach: »Wenn du es wirklich tun willst, also – dann werden wir dich bestimmt nicht wieder alleine gehen lassen. Dann sind wir in der Nähe! Ich meine: Falls du tatsächlich so verblendet bist und noch einmal zu diesem Kerl willst.«
»Und geh nicht in sein Haus«, fiel Knaller heftig ein. »Unter keinen Umständen! Hörst du?«
»Wohnt er denn nicht im Kloster?«
»Er hat ein eigenes Haus«, sagte Anselmus. »Das weiß aber kaum einer. Wundert mich, dass Knaller es weiß.«
»Da verkriecht er sich seit Tagen«, sagte Knaller ungerührt. »Geht kaum auf die Straße, der Galgenstrick. Würdest dich wundern, was ich alles
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