Tanz der Dämonen
nicht mehr in der Schlinge, aber es kam mir so vor, als sei die Verletzung keineswegs ausgeheilt.
Ich griff nach dem Bündel, in dem die wenigen Dinge zusammengepackt waren, die ich mitzunehmen hatte, und dann zog Mutter Gluck mich mit einem festen Druck in den Arm.
»Grüßt Pietro und Sambo«, bat ich. »Ich habe mich gar nicht richtig von ihnen verabschiedet.«
»Es muss kein Abschied für immer sein«, brummte Grifone und gab damit einen ersten Hinweis darauf, wie er sich meine Zukunft dachte. Er öffnete die Tür, spähte einen Augenblick lang prüfend nach draußen, dann fasste er meinen Arm, und schon waren wir auf der Gasse. Er nahm nach kurzer Zeit einen Weg, der mir nicht vertraut war. Während wir Seite an Seite gingen, sprach er nicht, und sein Blick musterte beständig die Umgebung, obwohl ich sonst kein Zeichen von Besorgnis an ihm wahrnahm. Vielleicht war die Wachsamkeit einfach ein Teil seiner Natur?
Erst als wir an St. Marien im Kapitol vorüber waren und das Marktgetriebe in der Sandkaule uns umfing, schien er sich meiner Anwesenheit wieder bewusst zu werden.
»Vielleicht wirst du dich wundern«, sagte Grifone, »wenn ich dir sage, an welchen Ort ich dich mitnehmen werde.«
»Welchen denn?«
»Das Haus auf dem Berlich.«
Ich wunderte mich gar nicht. Vom Haus auf dem Berlich hatte ich schon gehört. Vor ein paar Jahren hatte dort der hochweise Rat von Köln – über den ich mir schon damals meine eigenen Gedanken erlaubte – ein Hurenhaus errichten lassen. Das gemeine Haus,wie es auch genannt wurde. Mit einem Stadtwimpel auf dem Dach! So glaubte man wohl, das Laster im Auge behalten zu können. Was für ein Unfug!
Das war ein großes Gebäude, dicht hinter dem Kloster der Klarissen. Es umfasste auch eine Wirtschaft, wo es in diesen Tagen hoch herging. Vielleicht war Grifone deshalb auf diesen Treffpunkt verfallen. Man konnte hier mit aller Welt zusammenkommen, ohne dass irgendein Verdacht entstand – gerade weil hier alles und jeder ständig misstrauischen Blicken ausgesetzt war. Im Übrigen war es ein Ort, der zu Grifone passte, so fand ich. Dass er womöglich Böses im Schilde führen könnte, was mich betraf, ist mir gar nicht in den Sinn gekommen.
In der dicht belebten Gasse war Trubel schon erkennbar, lange ehe man das Haus erreichte. Viele freie Dirnen fanden dort Kundschaft – einfach so in den Straßen. Allerlei Kavaliere und zahlreiche betrunkene Landsknechte bevölkerten das Viertel. Auch die Büttel waren da, aber sie standen im Hintergrund, solange sie nicht zum Eingreifen gezwungen waren.
Während ich Grifone folgte wie ein Schatten, lächelte manches geschminkte Gesicht ihn an. Freizügig geöffnete Brusttücher wurden ihm dargeboten. Gelegentlich, nach einem kurzen prüfenden Blick, wurde auch mir diese Aufmerksamkeit zuteil. Wahrscheinlich hielt man Grifone für einen Vater, der seinem Sohn zeigen wollte, wie es in der Welt zugeht. So jedenfalls dachte ich es mir. Grifone lehnte alle Vorschläge der Dirnen freundlich ab. Mit manchen von ihnen wechselte er ein paar Worte im Vorbeigehen. Es schien mir, er habe mit vielen der Mädchen schon einmal näher zu tun gehabt. Auch das wunderte mich nicht.
Irgendwo flackerte schrilles Gelächter auf. Ein Betrunkener wurde aus einer Kneipentür auf die Straße geworfen und landete lallend vor unseren Füßen. Zwei Männer stritten sich lautstark und versöhnten sich wieder.
In einem Hausdurchgang kniete eine Dirne vor einem stehenden Freier. Unbedarft fragte ich mich, was sie da wohl taten.Damals sah ich so etwas zum ersten Mal. Mein Schritt stockte. Grifone fasste mich am Ärmel und zog mich weiter.
»Komm schon!«, brummte er. »Guck dich nicht fest! Wir haben andere Pläne.«
»Wo will er denn hin mit dir, Kleiner?«, rief eine Frau uns nach. »Bleib lieber hier! Bei mir kannst du was lernen.«
»Lass doch die!«, setzte eine ältere dagegen. »Ich mach’s dir für die Hälfte.«
»Hör da nicht hin!«, wieder die erste.
»Nur so zum Spaß!«, die zweite. »Du wirst lange an mich denken!«
»Das kann schon sein«, die erste, »weil sie dir nämlich den Tripper anhängt, die Schlampe!«
»Siehst du!«, sagte Grifone. »Wenn du Wert darauf legst, kriegst du noch was dazu.«
Jetzt standen wir am Eingang des berüchtigten Hauses.
»Also hinein«, sagte er. »Osman wird schon längst auf uns warten.«
Wer war Osman?
Ich war überrascht, wie geräumig das Innere des Hauses wirkte und wie wenig seine eigentliche
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