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Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Westfehling
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ich hatte keine Ahnung, wann das begonnen hatte. War es neulich schon so gewesen, als ich mich bei Mutter Gluck gewaschen hatte? Ich versuchte mich zu erinnern, wann ich zum letzten Mal davor meinen Körper ganz entblößt hatte. Das musste wohl im vergangenen Sommer gewesen sein, ehe Ahasver ins Dorf kam, beim heimlichen Baden im Bach hinter der Kirche. Damals war mir nichts aufgefallen. Andererseits: Die Mädchen in meinem Alter – wie ich glaubte – waren alle schon Frauen gewesen. Aber wie alt war ich denn wirklich? Und weshalb erschrak ich über die Entdeckung?
    La Lupa war unbemerkt hinter mich getreten und schüttete jetzt einen Tropfenschwall von starkem Duftwasser über mich.
    »Nicht!«, rief ich – und musste dennoch insgeheim zugestehen, dass es ein wunderbarer Duft war, der sich um mich verbreitete.
    »Das ist das Beste von allem!«, sagte sie. »Und jetzt heraus mit dir! Sonst löst du dich noch auf im Wasser. Erst nicht hinein und dann nicht heraus! Hier sind Tücher. Trockne dich ab. Und ab ins Bett!«
    Der weiche Hausmantel umfing mich wie eine Wolke, und ich ließ mich darin versinken. Und dann ein wirkliches Bett mit Leinentüchern und ein Zimmer für mich alleine!
    In dieser Nacht schlief ich wohlig entspannt, nur gegen Morgen kamen wieder Träume. Da sind Kartenblätter, die auf mich zuflattern: der Narr, der Kaiser, der Tod.
    Eine Stimme, die dem Zischen einer Viper gleicht: »Rette dein Leben! Das Buch hat tausend Augen!« Ich bin in einem dunklen Raum. Eine Höhle? Draußen eine weite Ebene im Mondlicht. Aber ich kann nicht hinaus, denn da hockt eine Gestalt, die mir den Rücken zukehrt. Sie ist vertraut – und doch unheimlich fremd. Da! Sie wendet sich um. Kein Gesicht! Nur Zähne! Das mörderische Gebiss einer Bestie! Aber das Ungeheuer hat Hände. Finger wie Pfeile!
    »Dein Leben gehört mir!«, faucht es. »Denn ich habe dich gezeugt!«
    In Schweiß gebadet, wache ich auf.
    Pferdehufe stampften vor dem Haus. Es wurden Worte gewechselt. Ich hörte Grifones Stimme. Schnell ans Fenster! Ich konnte es aber im Dunkel nicht öffnen. Dann ein Befehl, und mit Getrappel sprengte die Kavalkade durch die engen Gassen davon.
    Natürlich wusste ich, was das bedeutete: Grifone war davongeritten – ohne Abschied.
     
     
     

EIM M AGUS
    Ich kroch wieder ins warme Bett, aber ich konnte nicht mehr schlafen. So ließ ich, während es langsam hell wurde, meinen Blick durch den Raum wandern. Ein Fenster, ein Tisch, eine Truhe, ein Wandbehang mit einer etwas verblassten Jagdszene, ein Stuhl, eine Umhängetasche, die darauf abgelegt war, mehrere andere Taschen und ein locker geschnürtes Bündel, alles in der Zimmerecke aufgehäuft. Nichts Besonderes. Aber es gab da etwas, das mich herausforderte. Meine Augen kehrten immer wieder zu diesem unordentlichen Stapel von Gepäckstücken zurück. Grifones Sachen. Einiges davon wurde vielleicht schon viel länger im Haus von La Lupa für ihn aufbewahrt. Natürlich war es mir recht, dass alles bei mir stand. Eigentlich freute ich mich sogar darüber. Es gab mir das Gefühl, etwas von ihm sei zurückgeblieben, und es war, als sagten diese Dinge: »Er wird wiederkommen; hätte er uns sonst hier gelassen?«
    Ich war eigentlich gar nicht neugierig. Oder höchstens ein bisschen. Denn schon bald hatte ich in die große Tasche geschaut – aber nur ganz oberflächlich, jedenfalls ohne eine bestimmte Absicht. Danach in die kleine Tasche und in das Bündel auch. Es war der Kram, den ein Mann so mit sich herumschleppt. Zwei Paar abgetretene Schuhe. Einige Strümpfe, nicht in gutem Zustand. Ein paar Hemden. Eine Feldflasche aus Leder, die er bei diesem Ausritt wohl nicht zu brauchen glaubte. Ein Beutel Nüsse. Abgegriffene Spielkarten in einer Hülle aus Fell. Überraschenderweise auch ein Buch, das mit einem Band verschnürt war. Ich hatte es nicht aufgeknüpft. Und ein Bündel Bolzen, die man mit der Armbrust verschießt. Die Armbrust selbst und vermutlich so viele Bolzen, wie er vielleicht brauchen würde, hatte er mitgenommen.
    Die Armbrust war gewiss eine altmodische Waffe, aber er mochte nicht von ihr lassen, und er handhabte sie wirklich mit Meisterschaft.
    Meine ziellose Unruhe wollte nicht nachlassen. Eine Stunde etwa lag ich nun schon wach. Ich stieg aus dem Bett und wanderte umher. Die Bodendielen waren rau unter meinen Füßen. Und kalt. Ich blieb erneut vor Grifones Bündel stehen. Was für ein Buch mochte das sein? War er denn ein Mann, der Bücher bei sich

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