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Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Westfehling
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trug? Ich holte das Bündel hervor und löste die Knoten. Der Einband war aus Pergament und lag weich in der Hand. Die Blätter fielen wie von selber auf.
    »Aldo Manuzio«, las ich. Ein Text zu Dantes Inferno . Das bei Grifone …?
    Da war eine Illustration, die ganz abgegriffen aussah, als habe man sie wieder und wieder aufgeschlagen. Ein seltsames Bild. Ich blickte in das Innere eines Kraters. Stufe für Stufe ging es in die Tiefe, nach unten zu immer enger, ganz wie ein Trichter. Und auf allen Stufen waren winzige Gestalten zu erkennen, die seltsame Dinge taten. Im untersten Schacht erhob sich ein grauenvolles dreiköpfiges Ungeheuer, der Höllenfürst, der mit seinen fürchterlichen Mäulern zahlreiche Menschen verschlang. Jemand hatte mit winzigen Tropfen roter Farbe das Blut angedeutet, das auf den krötenhaften Bauch des Monsters triefte …
    Befremdet legte ich das Büchlein zurück. Grifone!
    Aber das war es nicht, was meine Unruhe begründete. Es musste noch etwas anderes geben. Mein Blick haftete auf den Pfeilen. Ich musste daran denken, dass ich ihn zuerst den Mann mit der Armbrust genannt hatte. Ich lachte leise. Und dann durchfuhr mich ein eisiger Gedanke. Ich griff nach meiner Jacke und durchsuchte sie mit fliegenden Fingern. Da – da war es. Ich zerrte das Ding heraus und hielt es ins Licht. Der Pfeil, der auf mich abgeschossen worden war – in der Gasse vor der Herberge von Mutter Gluck. Ich hatte ihn aufbewahrt und wusste selbst nicht, weshalb. Und da – einer der Pfeile aus Grifones Bündel. Der meine war zersplittert und ander Spitze verbogen. Dennoch gab es keinen Zweifel: Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen. An beiden war unten am Schaft, dicht vor den Federn, ein kleines, sorgfältig eingeschnittenes Zeichen zu erkennen, eines, wie Jäger sie anbringen, damit sie ihre Beute beanspruchen können. Dasselbe Zeichen!
    Mein Kopf war leer. Das Blut pochte in den Schläfen. Mein Blick ruhte auf dem Wandteppich mit dem Bildmotiv: ein Schütze, der ein Reh erlegte. Plötzlich spürte ich nichts als Übelkeit. Er hatte auf mich geschossen! Alle unterdrückten Ängste brachen wieder hervor. Er hinterging mich! Ein Gefühl, als sei ich in siedendes Öl getaucht! Plötzlich sah ich ihn wieder als Feind, und ich wusste nur dies: Ich wollte fort – fort, ehe ich ihm womöglich erneut begegnen musste! Wer konnte wissen, wie bald er zurückkehren würde? Auch La Lupa wollte ich jetzt nicht sehen. Niemanden! Ich hasse euch alle! Es war, als ob mich Furien peitschten. Ich musste ins Freie! In aller Hast raffte ich meine wenigen Habseligkeiten zusammen und schlich aus dem Haus, ohne dass mich jemand bemerkte.
    Eisiger Wind.
    Nur schnell fort!
    Und nicht zu Mutter Gluck! So gerne ich Pietro und Sambo gesehen hätte, von denen ich mich nicht einmal richtig verabschiedet hatte, aber es ging nicht: Da würde er mich zuerst suchen.
     
    Diesmal musste ich lange herumlaufen, ehe ich meine Bettlerfreunde fand. Sie hatten ein Stück Geld in die Hand bekommen und waren dabei, es in einer Schänke auf den Kopf zu hauen. Es war eine jener düsteren Spelunken unterster Stufe, in die sich kein Mensch je verirren wird, dem ein anderer Weg offen steht. Stroh und Kisten statt Tischen und Bänken. Eine Theke aus drei Brettern über zwei Fässern, und über allem der Geruch von billigem Fusel, Schweiß und Erbrochenem. Die meisten Gäste in der »Schwarzen Sau« – so wurde die finstere Höhle genannt – waren einer zusammenhängenden Sprache schon gar nicht mehr mächtig. Auch meine Freunde hatten glasige Augen und schienen kaum noch ansprechbar. Ammeisten Haltung bewahrte Zunge, der stillvergnügt im Winkel hockte und vor sich hin träumte. Knaller übte Armdrücken mit einem Goldgräber – so nennt man in Köln die Grubenreiniger –, einem Burschen, der zehn Schritte gegen den Wind nach Kloake stank, wobei er immer verlor. Und Bär wälzte sich im Stroh mit einer fetten Dirne herum, die in nüchternem Zustand nicht mal ein Blinder akzeptabel gefunden hätte. Er schien aber mit dieser Eroberung glücklich zu sein, denn er kicherte begeistert und grabschte ihr hingerissen an Hintern und Schenkeln herum. »Siehst du, Kind«, brummte er, »hab ich dir nicht gesagt, dass auch ich meine Anfechtungen habe?« Damit vergrub er grunzend sein Gesicht zwischen ihren dicken Brüsten.
    Ich sah ein, dass ich hier nichts zu suchen hatte, und zog mich zurück. Während ich hinausging, hörte ich einen betrunkenen Sänger unter dem

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