Tanz der Dämonen
mir gewiss: Mein Vater war hilflos wie ein Kind. Er würde nicht imstande sein, mir wehzutun oder Kummer zu machen, mich abzuweisen oder anzugreifen, aus welchen Gründen auch immer er das vorher getan haben mochte.
Wir trugen ihn an den Straßenrand. Dort legten wir ihn auf eine Decke und wuschen vorsichtig sein Gesicht. Sambo legte erste Verbände an und betastete den Arm.
»Ist nicht gebrochen«, sagte er verblüfft, »nur ausgerenkt.« Damit setzte er das Knie gegen die Achsel des Verletzten und gab ihm einen Ruck, als wolle er den Arm vom Körper reißen. Ich schrie auf. Aber im gleichen Augenblick kam Grifones Stimme: »Verdammter schwarzer Bastard! Warte nur, wenn ich mich wieder wehren kann!« Ich hörte es, sah Sambo gutmütig grinsen und Grifones missglückten Versuch, das Grinsen zu erwidern – und da wusste ich: Er kann es schaffen! Alles wird gut.
Als wir den Verletzten so weit gestärkt hatten, dass er trotz gebrochener Rippen schon wieder angelehnt sitzen konnte, wurde es ruhig um die Brandstätte; die Neugierigen verliefen sich allmählich.
Herr Lennart kam noch einmal zu mir. »Alles ist geregelt«, sagte er. »Es wird keine weiteren Untersuchungen geben. Dir zuliebe …«
Ich dankte höflich und fügte hinzu: »Ihr seid sehr gütig zu mir!«
»Ich habe keine Kinder und werde nie welche haben …«
Während ich noch überlegte, wie ich diese Antwort verstehen solle, wandte er sich bereits ab.
Sein Blick ging über die geborstenen Mauern und die noch immer schwelenden Balken. Die teils grausig verkohlten Körper, die man in die Gasse getragen hatte, streifte er nur mit einem flüchtigen Blick. Nur als er den Leichnam Ferrands mit dem Ohrring sah, der gut zu erkennen war, stutzte er. Dann ging er langsam weiter und blickte zu den bizarren Trümmern des Treppenhauses hinauf. Dahinter ragte die steinerne Masse des alten Turmes empor, der rauchgeschwärzt und geborsten war, aber dennoch aufrecht stand. Die Brandwehr arbeitete in der Ruine des Nachbarhauses. Dort hatte sie gerade Ahasver ausgegraben. Er war furchtbar vom Feuer entstellt. Der Leichnam wurde auf eine Trage gelegt. Vom Buch war nichts übrig geblieben und wenig von den Händen, die es gehalten hatten.
Mein Magen krampfte sich zusammen. Trotz allem tat er mir Leid. Ich beeilte mich, diesem traurigen Anblick zu entfliehen, aber Herr Lennart, der am Weg stand, sprach mich noch einmal an.
»Der Alte. Dieser Ahasver. Hat er erlangt, was er gewollt hat?«
»Er hat es in Händen gehalten. Aber es hat ihm nicht das gegeben, was er gehofft hat. Und jetzt ist es mit ihm verbrannt.«
»Dann hat es ihm keinen Nutzen gebracht. Er dauert mich.« Und leise fügte er hinzu: »Der Antichrist lässt sich zum Schein erschlagen, er wird auferstehen, aber Gott stößt ihn mit Feuer und Ungewitter in den Abgrund der Hölle.«
Er wusste mehr, als ich geahnt hatte. »Nicht der Antichrist«, sagte ich rasch. »Er war nur ein starrköpfiger alter Mann.«
Er nickte nachdenklich. »Und was deinen Vater angeht, so ist er, glaube ich, ein Mann, der sein Leben lang jeder Schimäre nachjagen wird. Es dürfte bei dir liegen, ein Auge auf ihn zu haben.«
Ich lächelte so tapfer, wie ich es vermochte. »Ich verstehe, was Ihr meint.«
»Leb wohl! Gott schütze euch. Und denk an das, was ich dir vorhin gesagt habe: Bleib nicht mehr zu lange in Köln!«
»Gott möge auch mit Euch sein, ehrenwerter Herr, und wenn Ihr mir die Bitte erlaubt, sagt Eurer Magd einen Gruß von mir.«
Wir trennten uns mit einem Lächeln.
Grifone wurde am Nachmittag in ein Kloster gebracht, wo er die nötige Pflege erhalten würde. Als ich ihn verließ, schlief er ruhig.
Den Abend verbrachte ich mit den Bettler-Freunden. Sambo und Pietro waren auch dabei. Jetzt erst konnte ich etwas essen, und Knaller meinte am Ende, ich hätte für drei geschlungen. »Für drei von denen, die nicht mehr mithalten können, weil sie ganz plötzlich mit Kacken aufgehört haben«, erklärte er auf die ihm eigene drastische Art.
Bär schüttelte missbilligend den Kopf.
»Was denn!«, protestierte Knaller. »Hab ich nicht Recht?«
»Es sind nicht nur die Guten am Leben geblieben, und es sind nicht nur die Schurken gestorben.«
Ich verstand seinen Tonfall wohl zu deuten. » Wer ist tot?«, fragte ich mit neuer Unruhe.
»Der alte Seiltänzer«, sagte Bär. »Polonius. Er ist zufrieden gestorben.«
Ich schwieg und legte den Löffel beiseite. Vor meinen Augen stand sein Gesicht, wie ich es zuletzt
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