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Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Westfehling
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hielt er ihn in den Händen.
    Wie soll ich sagen, was ich empfand? Eines war mir ganz klar: Er hatte von meinem Kommen gewusst und bereits auf mich gewartet.
    »Ich bin auf der Suche nach meinem Vater«, sagte ich, indem ich meine Befangenheit überwand, »und er hat diesen Brief geschrieben, in dem er sagt, dass Ihr es seid, der mir helfen kann …«
    Er räusperte sich und nickte langsam.
    »Vielleicht«, murmelte er, »vielleicht werde ich helfen können.«
    Sein seltsam zerstreuter Ausdruck verstärkte sich, als er sich nun wie suchend hierhin und dorthin wandte.
    Was für merkwürdiges Haar er hat, musste ich denken und wunderte mich zugleich, dass eine derartige Nebensächlichkeit mich indiesem Augenblick beschäftigen konnte. Sein Haar war schütter und farblos wie Spinnweben. Obwohl es sorgsam ganz gleichmäßig mit dem Kamm über den ganzen Kopf verteilt worden war, verbarg es die Kopfhaut nur schlecht.
    Der Mann räusperte sich hilflos und hob dann hastig zu sprechen an.
    »Gewürzwein«, sagte er. »Möchtest du … möchtet Ihr etwas trinken? Ich habe das auf meinen Reisen kennen gelernt, geschäftlichen Reisen, ja, ja, Brügge, Venedig, Konstantinopel. Ingwer kommt hinein und Zimt und einiges andere. Hm. Wisst Ihr … weißt du … nicht jedem ist das Aroma, äh, angenehm.«
    Wiederum regte sich etwas in meinem Erinnern. Dieser Geruch, ein heißes aromatisches Getränk – es kam mir vor, als sei es für mein Gedächtnis auf eine nicht näher beschreibbare Art mit einem Gefühl des Schreckens und mit dem Echo gewaltsamer Ereignisse verbunden.
    Diese Gedanken musst du abschütteln, sagte ich mir. Und bleibe wachsam!
    »Ihr seid es doch nicht selbst?«, fragte ich, indem ich ihn unterbrach.
    Er sah mich verwirrt an. »Was?«
    »Seid Ihr – mein Vater?«
    »Ich, dein Vater? Nein, bewahre …«
    Ich beschloss, ihm zu glauben, und war froh. Aber wie würde es nun weitergehen?
    »Dein, äh, dein Vater wird – du wirst ihn sehr bald sehen, sehr bald …« Als er das sagte, fiel mir auf, dass sein Blick unwillkürlich zu einer Tür wanderte, die im hinteren Teil des Raumes zu erkennen war.
    »Dein Vater, ich … Er lässt dir das sagen.«
    »Was bitte?«
    »Das soll ich dir sagen: dass du ihn bald sehen wirst.«
    Er setzte sich und begann, einige Dinge auf seinem Tisch umherzuschieben, gedankenlos von hier nach da und wieder zurück.
    »Und das …«, besann er sich, »Ja, das noch. Ehe ich es vergesse. Das … eeh, das hier, das gibt er dir. Du sollst nicht … Er will nicht, dass du vielleicht … Also er will, dass du genug Geld hast … Er will nicht, dass du in Schwierigkeiten gerätst wegen Geldnot …« Und er nestelte einen Beutel hervor, den er mir reichte. Seine Hand zitterte. Und wieder dieser schnelle Blick. Ob er glaubte, mir sei nicht aufgefallen, dass zwei Gläser dieses merkwürdigen Getränkes auf dem Tisch standen, beide halb leer? Wer verbarg sich hinter jener Tür? Vielleicht mein Vater?
    Als ich nach kurzem Zögern den Beutel nahm, beugte er sich vor und fragte plötzlich flüsternd: »Komm her, sag mir rasch: Als du gekommen bist, in der Gasse, als du vor dem Haus gestanden hast – sag mir, hast du da nichts bemerkt? Nichts Ungewöhnliches, meine ich …«
    »Was meint Ihr denn?«
    »Etwas Ungewöhnliches eben … etwas, das nicht so ist, wie es sein sollte. Stell dich nicht dumm, verdächtige Gestalten zum Beispiel …«
    »Verdächtige Gestalten?«
    »Ja, doch, spiel mir nichts vor! So einfältig kannst du doch nicht sein. Vielleicht jemand, der das Haus beobachtete … So etwas …«
    »Nichts«, sagte ich befremdet. »Ich habe nichts in der Art bemerkt. Ein paar Bettler waren da. Die sind immer da, glaube ich.«
    Er seufzte erleichtert. Ob er mir traute?
    »Vergiss, was ich gesagt habe!«, murmelte er. Er stand mühsam auf und starrte mir ins Gesicht, wobei er auf meine Schulter klopfte. Schweißtropfen rannen über seine Stirn. Als ob er Fieber hätte. Dann wandte er sich ab. Er tappte zum Fenster und drehte mir den Rücken zu, offenbar ratlos, wie er mich möglichst bald loswerden könne. Ich hörte, wie er zwischen schweren Atemzügen aus seinem Glas schlürfte. Sonst war es sehr still.
    Ich war ratlos. Sollte das alles sein? Nichts als ein paar leere Worte und das rätselhafte Gestammel eines Mannes, der mir tief verwirrt erschien? Mir war, als hätte ich einen Schlag ins Gesichterhalten, und meine Enttäuschung verwandelte sich in Zorn. Zwar glaubte ich nicht, viel mehr von ihm

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