Tanz der Dämonen
»Ich habe etwas zu tun, das mir bestimmt noch schwerer fällt als das heute Nachmittag«, sagte ich. »Ich muss zu einem Haus gehen, in dem ein Mann wohnt, den ich um etwas bitten muss. Das werde ich morgen tun.«
»Dann schlaf jetzt«, sagte er und fragte nichts weiter.
M H AUS MIT DEM L ÖWEN
Am nächsten Morgen – es war zwei Tage vor dem Dreikönigenfest – führten meine Kumpane mich vor ein ganz bestimmtes Haus in einer engen Gasse der inneren Stadt, nicht weit vom Martinskloster. Meine Füße waren wie Blei. Warum zögerte ich? Endlich würde ich meinem Vater begegnen! Wieso freute ich mich nicht?
»Da ist es«, sagte Bär, »das Haus, das du suchst.« Warum war er so brummig? Ich hatte den drei Freunden den Namen genannt, der in meinem Brief stand: Herr Arndt. Da also wohnte er.
Knaller setzte hinzu: »Dann geh schon! Wenn es wirklich das ist, was du willst.« Auch er wirkte mürrisch.
Zunge gab nicht zu erkennen, in welcher Stimmung er war. Das Grinsen saß auf seinem Gesicht wie eine Maske.
Bär sagte: »Ich habe mit unserem Zunftgenossen gesprochen, der dort drüben seinen Stammplatz hat. Weißt du: Es geht etwas vor in diesem Haus. Das gefällt mir nicht. Heute waren schon mehrere Gäste da. Das ist ungewöhnlich. Aber sie sind wohl alle wieder fort. Einer von ihnen war ein unangenehmer Kerl, den sie den Schwarzen Hund nennen.«
Ich erschrak. Eine unklare Angst nistete sich in meinem Herzen ein. Aber durfte ich davor zurückweichen? Ich sah mir das Gebäude näher an. Es war ein reiches Haus, aber düster. An seiner Front prangte ein steinerner Kopf mit klaffendem Maul, in dem zwei lange eiserne Zähne bleckten. Ich wusste schon, dass solche Verzierungen in der Stadt häufig waren und dem praktischen Zweck dienten, einen Lastbalken, den man bei Bedarf anlegte, in seiner Stellung zu halten. Dieser Stein aber war größer und reicher ausgearbeitet als andere: Er war mit hohem Aufwand als ein Löwenhaupt gestaltet,das gräulich auf den Betrachter herunterdrohte. Daher hatte das Haus seinen Namen. Das Haus mit dem Löwen nannte man es. Es gefiel mir nicht, und ebenso wenig gefiel mir der Gedanke, dort hineinzugehen.
»Es ist zu früh«, sagte ich. »Lasst mich noch warten.«
Bär zuckte die Schultern, und Knaller grunzte vielsagend.
»Dann sollten wir hier auch nicht so dastehen«, meinte Bär. Also zogen wir ein Stück weiter und drückten uns eine Weile in der Umgebung herum. Es war ein kalter, nebliger Tag. In den Gassen bewegte sich alles wie am Grunde eines trüben Gewässers.
Ich hockte mich auf einen Balken an den Stufen der Martinskirche. Dumpfer Gesang drang an mein Ohr. Ich tastete nach dem Brief unter meinem Wams und berührte dabei zufällig das Amulett. Erinnerungen bedrängten mich. Diesen Brief hatte Vater Sebastian mir mitgegeben. Er sei für meine Mutter bestimmt gewesen, sagte er dazu, geschrieben habe ihn mein Vater. Das war das erste Mal, dass jemand mit mir über den Vater sprach. Meine Mutter hatte ihn nie erwähnt. Vielleicht, weil sie mich noch für zu jung hielt. Später erkrankte sie und war bald darauf nicht mehr am Leben.
»Lies selbst«, hatte der alte Priester hinzugefügt. Es war seltsam und ist mir in Erinnerung geblieben, dass er mich dabei nicht anzusehen vermochte.
Ich las, denn das Lesen hatte er mich gelehrt, das und so vieles andere, in den Jahren, in denen ich mit ihm allein gelebt hatte und er meine ganze Familie gewesen war. Er war ein Mann von großen Kenntnissen. Ich habe nie verstanden, warum er nur Dorfpfarrer war.
Ich kannte den Brief inzwischen auswendig.
Liebwertes Weib,
seid mir gegrüßt. Ich hoffe inständig, dass es Euch und dem Kinde wohl ergeht.
Ihr werdet wissen, dass ich nicht anders handeln kann, als ich tue. Es ist mir auf immer ein Leid, dass Eure Gefühle gegen mich so ganz anders geartet sind als die meinen gegen Euch. Aber das ist wohl nicht mehr zu ändern.
Nun denn: Wenn die Zeit kommt, da das Kind nach mir fragen wird, dann mögt Ihr es, wenn Ihr so wollt, nach der Stadt Köln senden, zu dem Herren Arndt.
Anschließend war die Rede von diesem Herrn Arndt von dem Bruch, der in Köln Handelsgeschäfte trieb und seit vielen Jahren ein Haus besaß, welches das Haus mit dem Löwen genannt wurde.
Der Brief war im Ganzen seltsam unpersönlich und warf mehr Fragen auf, als er beantwortete. Es fand sich darin noch diese seltsame Wendung: Ich weiß, dass ich in vielem falsch gehandelt habe. Werdet Ihr mir jemals
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